4. Sepember 2021
Ich mache mich mit dem Zug auf den Weg nach Südfrankreich. Von Graz über Wien, Zürich, Genf, Valence Ville steige ich am Abend, etwas erschöpft, in Avignon aus dem Regionalzug.
Am nächsten Tag, die Nacht im Hotel war angenehm, lasse ich mich gemütlich durch den ehemaligen Papstsitz treiben. Anschließend rolle ich in Richtung Cotignac, dem Startort der heurigen Ausgabe des Le 1000 du Sud. Spontan entschließe ich mich, die letzte Nacht in einem Hotel zu verbringen, um ausgeschlafen in Cotignac einzutreffen.
Am Montagvormittag, kurz vor Cotignac, versorge ich mich noch in einem Supermarkt und treffe auf den ersten Teilnehmer. Gerhard aus Bayern nutzt den Supermarkt ebenfalls zum Einkauf. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Startpunkt.
Dort angekommen bin ich über den Startort äußerst positiv überrascht. Eine hervorragende Infrastruktur mit WC, Duschen, Koch- und Schlafmöglichkeiten sind für uns Randonneure bereitgestellt. Dafür möchte ich mich herzlichst bedanken. Die Zeit bis zum Start konnten wir dadurch sehr angenehm überbrücken. Während des Nachmittags unterhalte ich mich mit den anwesenden Startern, schlafe noch etwas und mache mein Rad und mein Equipment startklar. Vor dem Start wird noch gemeinsam gekocht und gegessen.
Um 20 Uhr starten wir gemeinsam zur heurigen Tour des Le 1000 du Sud. Ich selbst hab mich heuer nur sehr peripher mit der Strecke auseinandergesetzt. Kein Profil auf der Kühlschranktür und auch keine genauen Kenntnisse über die Reihenfolge der Pässe. Den Col de I`lseran bei ca. Halbzeit der Strecke ausgenommen. So kann ich am Anfang bei einem kurzen Plausch mit einem deutschen Teilnehmer über die großen Pläne von Florian, noch innerhalb der ersten 24 Stunden am Col delle Finestre zu stehen, nicht wirklich viel anfangen. Die erste Nacht ist äußerst angenehm zu fahren. Ein stetiger nie zu steiler Anstieg mit nur wenigen Abfahrten. Die Temperaturen sind erquicklich und sinken erst am Col D’Allos auf 4 Grad, auf immerhin 2 247 Meter. Bei dieser Auffahrt bin ich schon einige Zeit mit einem deutschen Teilnehmer, Florian, auf dem Weg. Die Gespräche über alles Mögliche lenken von dem Anstieg ab, der sich durch ein Schigebiet zieht.
Die Abfahrt nach Barcelonette führt durch eine Schlucht. Mitten in der Nacht ist nicht viel zu erkennen, außer dass der GPS Empfang am Garmin immer wieder verloren geht.
Der Tipp von den anderen Startern, den Bäcker in Barcelonette zu besuchen, können wir leider nicht aufgreifen, da wir noch vor 6 Uhr früh durch den kleinen Ort rollen. Doch hier profitiere ich von Florians Französischkenntnissen. Etwas außerhalb des Ortes sehen wir jemanden frisches Gepäck zum Ausliefern verladen. Florian gelingt es, ihn zu überreden, uns etwas zu verkaufen. Anschließend genießen wir ein herrliches Frühstück. Als nächstes steht uns eine Gravel Passage bevor. Dies ist die einzige legale Möglichkeit zum Col de Larche von der französischen Seite zu gelangen, da die Straße für Fahrradfahrer gesperrt ist. Diese Gravel Passage ist jedoch mit dem Rennrad und 25 vorne und 28 mm hinten schon etwas grenzwertig zu fahren. Ich quäle mich zum höchsten Punkt rauf und mache das Kontrollfoto. Währenddessen treffe ich einen fluchenden französischen Kollegen, der beinahe das Foto vergessen hätte, er musste ein paar Höhenmeter zusätzlich erklettern. Die Abfahrt ist etwas weniger schwierig zu fahren, jedoch irrsinnig steil. Danach geht es zum Col de Larche (ital. Colle della Maddalena) auf 1991 Meter. Die Auffahrt ist schnell erledigt, die Umgebung beeindruckend, die Passhöhe weniger. Oben angekommen schlüpfen wir in die Windweste und begeben uns in die Abfahrt. Es ist die erste schnelle Abfahrt auf dieser Tour. Die Serpentinen sind wunderschön zu fahren. Am Ende der Abfahrt kehren wir noch für ein zweites Frühstück inkl. Morgenhygiene ein. Danach machen wir uns wieder auf den Weg. Wir kommen gut voran, nur durch kurze technische Probleme (der Wahoo von Florian) und zur Essensaufnahme bleiben wir stehen. Irgendwann wird mir klar, dass mein Weggefährte jener Florian ist, der innerhalb von 24 Stunden am Finestre sein will. Ich versuche immer wieder meine Bedenken einzubringen, erkenne aber, dass wir wirklich schnell vorankommen und dieser Plan gar nicht mehr so abwegig ist.
Das größere Problem an diesem ersten Tag ist der Verkehr. Der ansonsten so angenehm zurückhaltende Autoverkehr in Italien ist hier komplett gegenteilig. Aggressive Fahrstile und enges Überholen zerren an meinen Nerven.
Nach endlosen vielbefahrenen Streckenabschnitten biegen wir auf eine absolut ruhige Passstraße zum Pra Catinat ab. Seit dem Start haben wir jetzt 395 km mit ca. 6000 Höhenmeter in den Beinen.
Einige Höhenmeter unter dem Pra Catinat taucht ein Hotel auf. In diesem Moment erlischt in mir jegliche Motivation und Kraft. Ich kenne diese Momente schon vom vergangenen Jahr und von anderen Langstreckenfahrten, doch so energisch kam dieser Moment noch nie. Ich teile Florian mit, dass ich mir ein Zimmer nehmen werde. Zum Glück stimmt er meinem Vorhaben zu und wir bekommen auch ein Zimmer.
Einige Augenblicke später, frisch geduscht, sitzen wir mit drei französischen Kollegen bei einem Viergänge Menü. Meine Stimmung steigt schon, bevor ich mich ausgeschlafen habe.
Als Frühstück wird uns von den Hotelangestellten eine Cola und ein Sandwich an der Rezeption bereitgestellt. Das etwas ungewöhnliche Frühstück verstaue ich zur Hälfte im Rucksack und wir machen uns um 6 Uhr früh wieder auf den Weg. Beim Kontrollfoto des Pra Catinat treffen wir die ersten Kollegen. Eine Stunde später stehen wir auf der Passhöhe des Colle delle Finestre. Die Abfahrt ist aufgrund der nichtasphaltierten Straße mit gewisser Vorsicht zu absolvieren.
Florian hat einen platten Vorderreifen. Ich helfe ihm, den Mantel auf etwaige Schäden zu untersuchen, kann jedoch nichts finden. Der Schlauch ist schnell getauscht. Die letzten Kehren in Susatal sind wunderschön und wir stärken uns hier mit einem weiteren Frühstück. Danach geht es aus dem Ort Susa rauf zum Col du Mont Cenis. Die Stimmung ist gut und ich finde die Auffahrt äußerst kurzweilig. Mir gefällt der Pass sehr gut, wir befinden uns wieder in Frankreich und genießen den Blick über den „Lac du Mont-Cenis“. Die Abfahrt nach Lanslevilliard ist sehr schnell, jedoch auch sehr windig. In Lanslevilliard versorge ich mich in der nächstgelegenen Boulangerie. Danach geht es zur Auffahrt zum Col de I’lseran – diese ist schlichtweg atemberaubend. Ewig lang zieht sich die Straße bis Bonneval sur Arc fast steigunsfrei auf 1800m Höhe. Erst hier beginnt nun die wirkliche Steigung, Florian zieht mir spielend davon. Ich benötige während dieser Anfahrt zwei kurze Pausen und die letzten 2,5 km mit 8 bis 11 Prozent setzen mir wahnsinnig zu. Auf 2770 Meter Höhe schieße ich das Kontrollfoto.
Auf der Gipfelhöhe konsumiere ich eine warme Speise, was mich wieder halbwegs aufrichtet. Danach geht es in eine sehr schnelle Abfahrt nach Val d’Isere hinunter. Einen Ort weiter versorgen wir uns und ruhen uns von den Strapazen etwas aus. Florian sagt immer wieder, dass er noch bis Albertville fahren möchte. Doch um dorthin zu gelangen, liegen noch zwei Pässe zwischen uns. Einer davon nochmals auf über 2108 Meter. Mir erscheint dieses Vorhaben als etwas gewagt.
Doch die Stimmung ist gut und wir bewältigen den ersten Teil des Anstieges zum Comet d’Areches relativ zügig. Auch der Schotterteil ist schnell erledigt. Auf der Passhöhe ergibt sich ein kurzer Plausch mit ein paar Campern, die uns etwas zum Essen anbieten. Wir verweilen nicht lange, sondern stürzen uns gleich wieder in die Abfahrt. In Areches organisiert Florian telefonisch ein Hotel in Albertville, welches uns einen Check-In für die Nacht ermöglicht. So begeben wir uns mitten in der Nacht auf den Col de Cyclotouristes. Bei der Auffahrt werde ich von einer Frau aus dem Auto heraus angesprochen, ob wir irgendwelche Hilfe benötigen bzw. wir uns verfahren haben. Ich versuche ihr zu erklären, dass wir geplant hierauf fahren und nach Albertville wollen. Nachdem Sie sich nochmals versichert hat, ob alles OK ist, fährt Sie in die entgegengesetzte Richtung davon. Florian und ich machen um halb zwölf nachts das Kontrollfoto und begeben uns in die kehrenreiche Abfahrt nach Albertville. Kurz vor 1 Uhr früh gehen im Hotelzimmer die Lichter aus und wir versuchen uns für den nächsten Tag dieser langen Reise auszuruhen.
Um halb acht machen wir uns mit dem Rad auf den Weg zum Frühstück. Florian hat schon morgendliche Initiative gezeigt und ein ausgezeichnetes Frühstückscafe gefunden. Danke dafür. Sehr gut gestärkt machen wir uns auf zum Col de la Madeleine. Es ist eine sehr lange Auffahrt, die sich auch mit über 1500 Höhenmetern auszeichnet. Wir treffen bei der Auffahrt auf unsere französischen Kollegen und auf der Passhöhe auf Christine, eine deutsche Teilnehmerin. Nach einem kurzen Plausch stürze ich mich in eine rasante Abfahrt. Es sind auffällig viele Radfahrer in der Nähe dieses Passes unterwegs. Dies dürfte mit der häufigen Befahrung bei der Tour de France in Zusammenhang stehen.
In La Chambre kaufen wir uns Hühnchen mit Kartoffeln bei einem Markt und machen uns auf zum nächsten Pass, dem Col du Glandon. Die Anfahrt ist unspektakulär. Doch je näher wir uns der Passhöhe nähern, desto schöner und beeindruckender ist er. Immer mehr habe ich das Gefühl, auf eine Wand zuzufahren. Ähnliches kenne ich nur vom Sölkpass in der Steiermark.
Die letzten Kehren reiße ich mehr am Pedal, als vernünftig zu kurbeln. Doch die Steilheit der Strecke lässt nichts anderes mehr zu. Der Blick zurück entschädigt jedoch für alle Strapazen.
Die nächsten 90 Kilometer empfinde ich als unspektakulär. Mir wird bewusst, dass wir die größten Hürden überwunden haben und sich uns ab jetzt eigentlich keine größeren Anstrengungen mehr in den Weg stellen. Den von mir entworfenen Plan, noch in der Nacht bis zur Anhöhe des Col de Festre zu fahren, kann ich Florian leider nicht schmackhaft machen. Wir versuchen eine Herberge ausfindig zu machen, scheitern jedoch daran. Die Nacht verbringen wir in einem großen Stadl, der mir eine ausgezeichnete Nachtruhe beschert. Schon um halb neun Uhr abends schlafe ich im kuscheligen Schlafsack und auf Stroh gebettet ein.
Florian hat den Wecker auf kurz vor drei Uhr gestellt. Als dieser läutet, bitte ich um eine zusätzliche Stunde Schlaf. Erfreulicherweise stimmt er zu. Nichtsdestotrotz starten wir um vier Uhr morgens zur Auffahrt auf den Col de Festre. Kurz vor sechs Uhr früh schieße ich das Kontrollfoto. Den letzten Streckenabschnitt kenne ich vom letzten Jahr. Aufgrund des günstigen Windes können wir einen guten Schnitt von 24,6 km/h bei 211 km und 2600 HM hinlegen.
Freudig schieße ich um 14:50 Uhr das letzte Kontrollfoto beim Base Camp.
Die nächsten 1 ½ Tage werden zu einem sehr lustigen und kurzweiligen Austausch über das Erlebte und Diskussionen über mögliche nächste Touren. Das Ambiente macht dieses Verweilen sehr angenehm. Eher widerwillig mache ich mich Sonntagfrüh, mit dem Rad, auf die Weiterfahrt nach Österreich. Das jedoch ist eine andere Geschichte.
Dank an Sophie Matters für die herzliche Atmosphäre und die grandiose Streckenführung.
Dank an Florian für die vielen Lacher während dieses Brevets.
Einige Zahlen:
Strecke: 1011 km
Höhendifferenz: 19780 HM
Schnitt: 20,3 km/h
Schnitt (brutto): 11,1 km/h
Gesamtzeit: 90 Stunden 50 Minuten
fotos & text: stefan eferdinger