Tag 1
Es ist Freitag, der 14. März 2025. Ich steige aus dem ICE92, der mich auf die Minute pünktlich von Wien nach Hamburg gebracht hat. Ich bringe all meine Taschen und Utensilien an ihren vorgesehenen Platz am Rad oder im Rucksack und verlasse den Hauptbahnhof. Ich begebe mich in Richtung Blankenese, genauer gesagt zu einer kleinen Bar namens Timeless, um mich auf die Startlinie der Transcimbrica 2025 zu stellen – die Radveranstaltung, die mich so früh im Jahr auf eine Rundreise von Hamburg nach Skagen im Norden Dänemarks und wieder zurück nach Hamburg führen wird.
Auf den knapp 16 Kilometern zur Startlinie bekomme ich einen schönen Einblick in die Wohnsituation des Hamburger Geldadels. Eindrucksvolle und sehr sehenswerte Villen reihen sich am Elbufer aneinander. Am S-Bahnhof Blankenese treffe ich in einer Pizzeria die ersten anderen Starter*innen und lasse mir ein ausgezeichnetes Abendessen schmecken. Die üblichen Gespräche über vergangene und anstehende Touren lassen die Vorfreude auf den nahen Start erheblich steigen. Wie immer ist es sehr interessant zu sehen, welche Utensilien manche mit auf den Weg nehmen und welche eben doch nicht. Aber eines sei gesagt: Dass jemand eine Solardusche dabei hat, war mir wirklich neu und sorgte auch am Tisch für Erstaunen. Gegen 23 Uhr stehen wir beim Timeless und treffen schon auf eine größere Gruppe anderer Teilnehmer*innen. Laut Schätzungen vor Ort werden sich ca. 40 Leute auf den Weg nach Skagen und zurück begeben. Nachdem die Startutensilien verteilt sind und ein selbstgewählter Betrag in die Spendenbox (keine Teilnahmegebühr, sondern eine freiwillige Spende für einen guten Zweck) gegeben wurde, kann gestartet werden.
Ich mache mich etwas vor dem ersten Block auf den Weg. Zügig verlasse ich Hamburg und werde nach ca. einer halben Stunde von einem kleinen Teilnehmerfeld aus fünf Personen eingeholt. Ich hänge mich in deren Windschatten und rolle locker mit. Die Temperaturen sind noch erträglich und pendeln sich zwischen 0 und -2 Grad ein. Die Strecke besteht hauptsächlich aus kleinen Nebenstraßen und Feldwegen, die aber in einem sehr guten Zustand sind. Durch die vielen Richtungsänderungen hält sich der hier gefahrene Schnitt jedoch sehr in Grenzen. Der Veranstalter hat eine Chatgruppe eröffnet, in der die Checkpoint-Fotos geteilt werden. Dies hilft sehr gut, um einen Überblick darüber zu behalten, wo sich die anderen Teilnehmer ungefähr befinden. Doch als ich bei Kilometer 96 den ersten Fotocheckpoint erreiche, ist es mir viel zu kalt, um stehen zu bleiben und das Handy herauszuholen. Es stellt sich heraus, dass es einigen anderen Teilnehmern ebenso ergeht. Die Temperaturen fallen inzwischen rasant und liegen um 5 Uhr morgens bereits bei -7 Grad. In der Zwischenzeit habe ich meine Schuhe mit einem Single-Use-Sohlenwärmer ausgestattet, um möglichen Erfrierungen der Zehen entgegenzusteuern.
Um 6 Uhr früh begebe ich mich mit zwei anderen (den letzten Verbliebenen der 6er-Gruppe) in eine Bäckerei in Husum. Ich befinde mich ca. 70 Kilometer vor der dänischen Grenze und ersehne den Sonnenaufgang, um endlich bei angenehmeren Temperaturen meinem Hobby nachzugehen. Kurz vor der dänischen Grenze treffe ich auf eine andere Teilnehmerin, die bereits früher gestartet ist. Es ergibt sich eine nette Plauderei über ihre Touren und Ziele für das Jahr 2025. Tief beeindruckt von den vielen geplanten Touren schwinge ich mich wieder auf das Rad. Wir sehen uns kurz darauf beim obligatorischen Grenzfoto wieder. Nochmals ein kurzer, netter Plausch – und dann geht es wieder weiter.
Die Strecke entwickelt sich währenddessen immer mehr zu dem erwarteten Dänemark: lange Abschnitte entlang von Deichen mit großen Schafherden. Die Zivilisation wird immer spärlicher, und die Begegnungen mit anderen Menschen nehmen ab. Erst als ich nach rund 300 Kilometern in Esbjerg eintreffe, kann ich wieder auf eine Vielzahl von Versorgungsmöglichkeiten zurückgreifen. Ich nutze diese ausgiebig und verlasse die Stadt mit dem Ziel, an diesem Tag noch 400 Kilometer zu erreichen. Dies gelingt mir nach ca. 20 Stunden.
Der doch recht niedrige Schnitt ist durch die wenigen Radkilometer, die ich als Vorbereitung hatte, den hohen Anteil an kleinen Straßen und die rund 40 Kilometer Gravelanteil begründet. Dennoch genieße ich diesen ersten wirklich langen Radtag im Jahr 2025 sehr. In Husby greife ich auf die dänische Shelter-Infrastruktur zurück und begebe mich in eine dreiseitig geschlossene, aus Holz gestaltete Unterkunft. Ich breite meinen neuen Daunenschlafsack aus, der mich auch bei Temperaturen bis -10°C durch die Nacht bringen sollte, und schlüpfe hinein. Ich schlafe innerhalb weniger Minuten ein.
418 km / 1.149 HM
Tag 2
Mein Wecker läutet um 05:00 Uhr. Die Temperaturen sind in der Nacht deutlich über der Nullgradgrenze geblieben. Dennoch fällt es mir schwer, mich aus dem so angenehm warmen Schlafsack zu schälen. Ich benötige etwas über eine Stunde und starte meinen zweiten Tag der Transcimbrica um 06:19 Uhr.
Da die geplante Fährfahrt in Thyoron nicht möglich ist, müssen wir eine Umleitung von ca. 30 Kilometern fahren, um in Richtung Agger zu kommen. Bei einem kleinen Supermarkt und einer dabei befindlichen Sitzgelegenheit nehme ich mein Frühstück ein. Ein paar Kilometer später mache ich das nächste Checkpointfoto bei der Oddesund-Brücke. Hier fallen einem erstmals die vielen Bunkeranlagen der deutschen Wehrmacht auf, die sich entlang der gesamten Westküste befinden. Massive Stahlbetonbauten, die wohl – wie die Pyramiden – ganze Zivilisationen überdauern werden.
Ein ebensolcher ist der nächste Fotocheckpoint bei Kilometer 575: ein Beobachtungsbunker mit weitem Blick auf das Meer. Innen ist er mit Fotos und Informationen ausgestattet, für die ich mir Zeit nehme und die ich aufmerksam lese. Immer wieder beeindruckend, wie viel Mühe und Anstrengung unternommen wird fürs Bekriegen bzw. die Abwehr derselben Spezies. Der Radtag bis hierher ist geprägt durch massiven Westwind, der einem ein Lächeln ins Gesicht zaubert, wenn er einen mit über 30 km/h ohne die Pedale zu drehen über das Land trägt. Jedoch nährt er ebenso die Verzweiflung, wenn er von vorne oder seitlich das Leben auf dem Rad erschwert. Nichtsdestotrotz sind die vielen Kilometer abseits der Hauptverkehrsadern sowie entlang eines Strandes sehr eindrucksvoll und wunderschön.
Der zweite und letzte Foto-Checkpoint an diesem Tag ist ein Leuchtturm mitten in den Dünen der Ortschaft Løkken: der Rubjerg Knude Fyr, der im Jahr 2019 ganze 70 Meter landeinwärts versetzt wurde, um ausreichend Abstand zum Meer zu bewahren.
Ich fahre den Großteil des Weges mit dem Rad. Unterwegs treffe ich zwei Mitstreiter der Transcimbrica – wir wechseln ein paar Worte, dann gehe ich weiter zu Fuß. Der Sand macht das Radeln unmöglich. Mit der Stirnlampe wander ich näher an den Leuchtturm heran, mache ein Foto – ein Moment für mich. Die Sterne sind gut sichtbar in dieser abgeschiedenen Gegend Dänemarks. Auf dem Rückweg verliere ich meine Spuren im Sand und kann mein Rad nicht finden. Ein kurzer Schock. Die Dunkelheit, der Wind – ich fühle mich irgendwie verloren und verirrt. Doch als ich zum Leuchtturm zurückkehre, erkenne ich die richtigen Spuren – und finde mein Rad wieder. Die Erleichterung ist greifbar. Den Tag beende ich um 23:45 Uhr bei 2 °C auf einem herrlich abgelegenen Shelter-Platz, den ich ganz für mich alleine habe. Die kleine Holzhütte hat verschließbare Türen – angenehm warm und windgeschützt. Nach einer kurzen Hygiene-Routine schlafe ich rasch ein.
281 km / 1.247 HM
Tag 3
Kurz vor 9 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Skagen. Die Nacht war kalt, trotz geschlossener Shelter-Hütte. Doch meine Laune steigt schnell: Der Wind schiebt mich mühelos nach Norden – teilweise mit bis zu 30 km/h, ohne zu treten. Wieder begegnen mir meine beiden Mitstreiter vom Vortag. Einer ruft mir zu, ich solle den Rückenwind genießen – erst da realisiere ich, dass ich denselben Wind beim Rückweg gegen mich haben werde. Ich wandere am Strand bis zum nördlichsten Punkt der Düne, mache ein paar Fotos. Trotz des Windes ist der Tag angenehm, und für Mitte März sind überraschend viele Menschen unterwegs.
Der Rückweg zieht sich. Nur Abschnitte durch Wälder bieten Schutz vor dem Wind. 30 Kilometer Gravelstrecke und ständiger Gegenwind machen den Tag anstrengend. Spät am Abend erreiche ich einen kleinen Ort mit einem unscheinbaren Hotel – leider ausgebucht. Der nächste Shelter-Platz ist unauffindbar, der übernächste verschlossen. Ich muss bis halb 1 Uhr nachts weiterfahren, um einen akzeptablen Schlafplatz zu finden.
237 km / 1.509 HM
Tag 4
Die Nacht war erträglich, trotz des einfachen Schlafplatzes. Um 9 Uhr gönne ich mir ein üppiges Frühstück vom Supermarkt. Der Gegenwind hat ab Aalborg deutlich nachgelassen. Ich komme gut voran. Das Wetter ist ideal zum Radfahren, nur landschaftlich wenig abwechslungsreich – flach, kaum Wälder. Ich radle bis etwa 15 Kilometer vor die deutsche Grenze. Dort finde ich hinter einer Minigolf-Anlage einen ruhigen Shelter-Platz – ein wunderbarer Ort zum Übernachten. Doch die Nacht ist bitterkalt. Ich wache mehrfach auf und ziehe mir zusätzliche Kleidung an.
247 km / 1.506 HM
Tag 5
Als ich gegen 7 Uhr erwache, zeigt die Wetter-App -8 °C. Die Wiese ist hart gefroren. Ich schlafe noch etwas weiter. Gegen 9 Uhr bin ich startklar. In der Sonne ist es angenehm, im Schatten bleibt es eisig. Nach 15 Kilometern erreiche ich die deutsche Grenze – Zeit für den letzten Foto-Checkpoint. Die Temperaturen sind mittlerweile milder, und ich freue mich auf einen schönen, ruhigen Radtag. In Oldenbüttel überquere ich den Nord-Ostsee-Kanal mit einer kostenlosen Fähre – der letzte Checkpoint vor Hamburg.
Die restlichen 100 Kilometer verlaufen ruhig. In Hamburg erreiche ich das Café Timeless – den Ausgangspunkt dieser Tour über die Krimbische Halbinsel. Dort treffe ich auf ein paar skeptische, leicht angetrunkene Gäste. Ich erzähle kurz, woher ich komme – Reaktion: ungläubiges Staunen.
Ich mache ein Foto, lade es in die Chatgruppe hoch, bedanke mich bei der (Un-)Orga für die schöne Strecke und fahre zu meinem Hotelzimmer weiter. Endlich – die erste Dusche seit über fünf Tagen und ein weiches Bett warten.
203 km / 675 HM
Einige Daten:
Gesamtstrecke: 1.386 km davon ca. 170 km Gravel bzw. unbefestigt (lt. Garmin)
Höhenmeter: 6.090 HM
Vergangene Zeit: ca. 116 Stunden
Zeit am Rad: 62h 30 min
Text/Fotos: Stefan Eferdinger