Es ist Freitag, der 8.Juli. Ich schnappe mir mein gepacktes Rad und mache mich auf den Weg zum Grazer Hauptbahnhof. Knapp 3 ½ Stunden später befinde ich mich in Wien bei der Anmeldung zum Three Peaks Bike Race. Etwas enttäuscht nehme ich mein Cap mit der Nr. 223 und den Tracker entgegen. Die Location für die Ausgabe lässt nicht wirklich eine gute Stimmung aufkommen und ich verlasse den Ort relativ schnell und mache mich auf zu meiner Unterkunft. Dort werde ich bereits von Florian begrüßt, mit dem ich mir diese Nacht das Appartement teile. Wir verbringen einen relativ unterhaltsamen Abend und tauschen uns über die Erwartungshaltung der nächsten Tage aus.
Samstag, 9.Juli:
Nach einem ausgezeichneten Frühstück schlendere ich beim „Startgelände“ gegenüber Schloss Schönbrunn umher und versuche mit ein paar anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. So richtig gelingt mir dies jedoch nicht, daher lege ich mich in die Sonne und versuche ein wenig zu schlafen. Um 12 Uhr starte ich in der letzten Gruppe nach Nizza. Der vorgegebene Parcours bringt mich über den Wienerwald nach Klausen und von dort auf meiner selbst geplanten Route zum Semmering. Da es in Richtung Dolomiten geht, gibt es eigentlich keine andere vernünftige Route und man begegnet vielen anderen Teilnehmern. Schon in Kindberg hole ich Florian, der eine Stunde vor mir gestartet ist, ein. Eine Zeitlang rollen wir nebeneinander, in Leoben trennen sich unsere Wege jedoch wieder. Hier greife ich auf meine Ortskenntnis zurück und nutze eine späte Einkaufsmöglichkeit am Bahnhof und rüste mich für die bevorstehende Nachtfahrt. Der weitere Weg bringt uns in die Nähe von Spielberg, wo an diesem Wochenende der Formel 1 GP stattfindet. Bei Gesprächen habe ich die anderen Teilnehmer vorgewarnt, hier vorsichtig zu sein, da in Zusammenhang mit dem Motorsportevent das Verkehrsaufkommen hier exorbitant steigen wird. Dies trifft dann auch ein. Ich komme zum Glück ohne größere Probleme durch, der Verkehr ist jedoch sehr anstrengend. Gegen Mitternacht beginnt es, wie prognostiziert, zu regnen. Dies lässt, wie so oft, meine Motivation rasch schwinden. Ich biege bei Sankt Georgen ob Murau in den Ortskern ein und finde eine nicht versperrte Musikschule/Kindergarten vor, dessen Foyer ich als hervorragenden Schlafplatz mit Stromversorgung nutze. Bei feiernden Verstappen Fans und dem Lied „Sweet Caroline“ in Dauerschleife schlafe ich etwas unruhig ein.
Stint 1: 296km 2.440 HM
Sonntag, 10.Juli:
Um halb vier läutet mein Wecker. Ich brauche relativ lange, bis ich meine Sachen gepackt habe und startbereit bin. Ich habe mir als Weg in den Süden den Schönfeldsattel ausgesucht, da ich diesen bereits kenne und ihn als relativ angenehm zu fahren empfinde. Diesmal ist es jedoch etwas regnerisch und auf der Passhöhe mit 5 Grad auch unangenehm kalt. Bei der Abfahrt komme ich an einer Tankstelle vorbei, wo ich mein Frühstück zu mir nehme und meine Morgentoilette erledige. Hier komme ich auch mit mehreren anderen Teilnehmern ins Gespräch und finde eine angenehmere und etwas gelockerte Atmosphäre im Vergleich zum Start vor. Dies empfinde ich als äußerst positiv. Zügig komme ich voran und befinde mich bald in Italien an der Auffahrt zu der Drei Zinnen Hütte. Da es sich um eine Stichstraße handelt, nehme ich am Beginn des Aufstieges meine Satteltasche vom Rad und deponiere Sie in einem kleinen Restaurant. Den Anstieg, den ich als ekelhaft steil empfinde, kann ich selbst mit einer 1:1 Übersetzung des öfteren nur im Wiegetritt bewältigen. Einige der anderen Teilnehmer sieht man bereits hier den Anstieg schiebend absolvieren. Auch wenn die Aussicht schön ist, kann ich Sie nicht wirklich genießen, sondern stürze mich gleich wieder in die Abfahrt und sammle meine Satteltasche wieder ein. Danach mache ich mich auf zum Anstieg auf den Passo Giau. Hier ist der Peak 1 bzw. Parcours erledigt und ich genieße eine herrliche Abfahrt. Danach teilt sich das Feld wieder. Hier wird mir zum ersten Mal bewusst, dass viele Teilnehmer eine Streckenplanung gewählt haben, die ich überhaupt nicht in Erwägung gezogen habe. Viele der Teilnehmer bevorzugen die weitere Route über Nordtirol, um diese deutlich flachere Variante in Richtung Luzern einzuschlagen. Ich jedoch, der infolge beruflicher Tätigkeit dort das Inntal schon in- und auswendig kennt, mache mich über eine von nur wenigen Personen gewählte Variante, über Araba und den Passo Pordoi weiter in Richtung Bozen. Auch wenn diese Variante etwas länger ist, gab ich diesem Pass den Vorzug. Ein herrlich rhythmischer und perfekt asphaltierter Übergang, den ich an diesem Sonntagabend fast ausschließlich für mich alleine habe. Oben auf 2239 Meter angekommen begehe ich einen kleinen Fehler. Anstatt in die Daunenjacke zu schlüpfen, fahre ich in der Regenjacke in Richtung Canazei ab und kühle irrsinnig schnell aus. Da ich Angst habe, mich zu verkühlen, nehme ich mir ein Hotelzimmer und beende diese Tagesetappe eigentlich viel früher als vorgenommen.
Stint 2, 315 km 5.800 HM
Montag, 11. Juli:
Ich überhöre meinen Wecker und werde dennoch um kurz vor 4 Uhr wach und hüpfe etwas gestresst aus dem Bett. Meine Siebensachen verstaut nehme ich vom Rezeptionisten wie ausgemacht mein Frühstück, gut verpackt in einem Plastiksack, entgegen und mache mich um halb fünf auf den Weiterweg in die Schweiz. Die Abfahrt vom Karerpass in Richtung Bozen ist in die Kategorie „High Speed“ einzuordnen. Leider kann ich das Rennrad nicht ungebremst durch die langen Tunnels laufen lassen. Da die Luftverwirbelungen das Rad gelegentlich gefährlich aufschaukeln lassen. Dennoch erreiche ich Bozen in Windeseile und genieße den traumhaften Radweg durchs Vinschgau bis nach Glurns. Hier bleibe ich, bevor es in die Schweiz geht, noch kurz bei einem Supermarkt stehen. Nun geht es zu den mir unbekannten Pässen Ofenpass und Flüelpass. Während der Auffahrt komme ich mit ein paar anderen Rennradfahrern ins Plaudern und genieße dieses meditative Passfahren. Dies nimmt jedoch ein rasches Ende, als ich in Landquart ins Rheintal vorstoße und dort mit heftigem Wind empfangen werde. Glücklicherweise nur wenige Stunden später beruhigt sich dieser und ich genieße eine traumhafte Abendfahrt entlang des Walensees. In Feusisberg beende ich diesen wunderschönen Radtag und schlage mein Nachtlager bei einer Kirche mit herrlichem Blick auf den Zürichsee auf.
Stint 3, 342 km 4.380 HM
Dienstag, 12.Juli:
Ich wache gegen 4 Uhr auf und brauche beinahe eine ganze Stunde bis ich mich endlich am Rad befinde. Es geht nach Luzern. Dort angekommen frühstücke ich ausgiebig bei einem Bäcker und mache mich weiter zum Anstieg nach Melchsee-Frutt. Der Anstieg von der Talstation bis zur Bergstation ist relativ zäh, da auf 7,5 km immerhin 800 Höhenmeter zu überwinden sind. Der für die schmale Straße doch beträchtliche Autoverkehr zerrt zudem auch etwas an meinen Nerven. Die umliegende Bergwelt jedoch entschädigt dafür allemal. Oben angekommen ziehe ich meine Radschuhe aus, meine Sockenschuhe an und wandere gemeinsam mit Cap 36 runter nach Engstlenalp. Von dort rolle ich raus aus dem Tal und begebe mich auf die Kletterpassage des Grimselpasses. Dieser Teil des TPBR ist genau meins. Ewig lange Anstiege in einer Art meditativen Gleichgültigkeit, aber durchaus ambitioniert, rauf zu kurbeln. Kurz vor Brig treffe ich wieder auf Florian und wir verbringen gemeinsam eine längere Pause bei einer Bäckerei in Brig. Danach begibt sich Florian weiter in Richtung des Grand St. Bernard ich jedoch erklimme am Abend noch den Simplonpass. Dieser empfängt mich im unteren Teil bzw. der alten Straße mit einer schier unerträglichen Hitze zum Klettern. Erst als ich die ersten paar hundert Höhenmeter hinter mich gebracht habe, wird die Situation erträglicher. Auf der Passhöhe, die ewig langen Galerien hinter mir liegend, ziehe ich mich für eine lange Abfahrt entsprechend an. Die Abfahrt besteht nur aus Tunnels und Galerien, ist jedoch eine relativ zügige. Ein paar Kilometer später beende ich meinen Tag auf einem Fußballplatz südlich von Domodossola.
Stint 4: 265 km, 5.200 HM
Mittwoch, 13 Juli:
Um dreiviertel fünf starte ich die Anfahrt zum Colle de Nivolet. Eine Sackgasse, zumindest für diejenigen, welche nicht von Norden kommend das Rad schultern und wandern. Die flache 160 km lange Anfahrt bringe ich relativ zügig und mit überschaubaren Stehzeiten hinter mich. Hier schaue ich zum ersten Mal, wie die anderen Teilnehmer diese Anfahrt wählten. Da laut Google eine Brücke abgerissen wurde und kein Ersatz eingezeichnet war, hatte ich eine relativ große Umleitung eingeplant. Anhand der Tracker erkenne ich jedoch, dass eine Brücke existieren muss und fahre die vorsorglich geplante kürzere Alternativroute. Bei der Einfahrt in das Tal checke ich in einem Hotel ein, wo ich mein Gepäck ablege und die Kletterei auf den 2612 Meter hochgelegenen „Pass“ beginne. Der Anstieg ist relativ unrhythmisch und ewig lang. Oben bei den Stauseen angekommen bin ich schon etwas genervt und kann mich nur bedingt der wunderschönen Bergwelt erfreuen. Bei der Abfahrt treffe ich wieder auf Florian und wir kehren auf ein Getränk und einen kurzen Plausch in eine Bar ein. Gegen sieben Uhr abends komme ich in das Hotel zurück. Für die Besitzerin vollkommen unverständlich vereinbare ich mit ihr, dass ich schon mitten in der Nacht wieder aufbrechen werde und ich gerne von Ihr ein Frühstück zum mitnehmen hätte. Schlussendlich gelingt mir das doch und ich falle bereits um 20.00 Uhr in einen regenerativen Tiefschlaf.
Stint 5: 261 km, 3.510 HM
Donnerstag, 14 Juli:
Um kurz vor 1 Uhr früh sitze ich wieder auf dem Rad. Das Frühstück von der netten Besitzerin im Rucksack verstaut mache ich mich auf den Weg nach Frankreich. Diese Donnerstagnacht beschert mir eine herrliche Nachtfahrt nordwestlich an Turin vorbeifahrend. In einem der Vorortbezirke von Turin habe ich leider einen Planungsfehler in meiner Route und muss ein kurzes Stück retour. Kurz danach lege ich einen Espresso Stopp bei einer Imbissbude ein und treffe wieder auf die Cap 36, Janis, und fahre mit ihm gemeinsam in das Susa Tal. Hier treffen wir auf Cap 24, Marguerite, aus Frankreich. Zu dritt, launig unterhaltend, klettern wir gemeinsam in das Schigebiet Oulx. Hier löse ich mir ein selbstgegebenes Versprechen ein und trinke noch zwei italienische Espressi, bevor ich Frankreich betrete. In Claviere treffe ich auf den Tross der Tour de France. Unzählige Manschaftsbusse stehen hier für die Tour Fahrer bereit, welche wohl auf der Passhöhe die Nacht vor der Alpe d`Huez Etappe verbrachten. Ich bin froh, Briançon noch vor dem Etappenstart zu durchqueren. Denn noch sind die Straßen frei und nur teilweise mit Absperrgitter versehen. Die nächsten 200 Kilometer entwickeln sich zu den schwierigsten dieser gesamten Reise. Schlagartige Hitze mit bis zu knapp 40 Grad, Wind und wahnsinniger Verkehr, befeuert durch den Nationalfeiertag in Frankreich, machen jeden Kilometer zu einer wahren Tortur. Am Nachmittag ziehe ich mich für 3 Stunden auf eine Bank unter einem Baum zurück und versuche die ärgste Hitze im Dämmerschlaf hinter mich zu bringen. Erst am Abend, als ich mich dem Mount Ventoux nähere und durch die malerische Meouge Schlucht radle, gelingt es mir wieder, Freude an diesem Abenteuer zu finden. In Sault organisiere ich mir noch etwas Essbares und beginne den Anstieg auf den letzten der vorgeschriebenen Gipfel, den Mont Ventoux. Im Anstieg relativ rasch ermüdend, ziehe ich mich auf eine Parkbank zurück und falle relativ schnell in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
Stint 6: 338 km, 3.830 HM
Freitag, 15 Juli:
Ich werde auf der Parkbank liegend durch den Wind geweckt. Zu meinem Rad blickend sehe ich, wie das Trikot nur noch halb auf einem Aerolenker hängend im Wind „steht“. Sofort springe ich auf und schnappe mein Trikot und ziehe es an. Meine Siebensachen gepackt fahre ich um 02:15 Uhr weiter in Richtung Gipfel. Ich überhole einige andere Teilnehmer bei der Auffahrt, unterhalte mich aber mit niemanden. Am Mont Ventoux angekommen mache ich ein paar Fotos und begebe mich in die nächtliche Abfahrt. Auf den nächsten 150 Kilometern bis Sisteron lege ich beinahe keine Pause ein. Erst hier frische ich meine Vorräte auf und begebe mich auf den dritten Anstieg dieses Tages, dem Signal de Lure. Den Anstieg schon kennend, versuche ich von motivierender Musik unterstützt, diesen möglichst schnell und effizient zu bewältigen. Allzu schnell gelingt mir das auf Grund des Erschöpfungsgrades und der Hitze nicht mehr. Im Vergleich zu vor zwei Jahren, bei der Le Mille du Sud, benötige ich aber nur knapp eine Viertelstunde länger. Bei der Weiterfahrt zur Verdon Schlucht ist die Hitze von 40 Grad das größte Problem. Alleine die Häufigkeit, mit der ich die Trinkflaschen nachfüllen muss, ziehen die benötigte Zeit wahnsinnig in die Länge. Dafür habe ich das Glück, an einem umwerfenden Sommerabend die Verdonschlucht entlangzufahren und die im Parcours eingebaute Schleife zu genießen. Innerlich versuche ich mich auf ein Durchfahren bis Nizza einzuschwören. Jedoch fällt es mir immer schwerer, mich auf die Straße zu konzentrieren und auch mein Verstand spielt mir mit kruden Einbildungen Streiche, die ich nicht ignorieren kann. Nach 21 Stunden und 50 Minuten, davon 16:30 Stunden am Rad, blase ich meine Isomatte auf und schlafe neben ein paar Campingwagen auf einem Grünstreifen sofort ein.
Stint 7: 348 km, 5.906 HM
Samstag, 16 Juli:
Um 04:12 Uhr sitze ich wieder auf dem Rad und begebe mich auf die letzten Kilometer nach Nizza. Zuerst klettere ich mühsame 500 HM rauf und fahre lange auf einer Meereshöhe von über 1000 m entlang. Das Thermometer fällt dabei auf 5 Grad und der herrschende Bodennebel lässt mich frieren. Eine etwas ungewohnte Situation nach über 40 Grad am Vortag und den selbst auf über 1000 Meter Höhe noch herrschenden 30 Grad in der Provence. Ich lasse mich jedoch nicht mehr aus der Ruhe bringen, stoisch zähle ich gemeinsam mit dem Garmin die letzten Kilometer nach Nizza. Nach 165 Stunden und 52 Minuten ist es dann endlich soweit. Ich erreiche an der Promenade in Nizza das Ziel. In erstaunlich guter Verfassung lasse ich mir das Finisherbier schmecken und steige anschließend am Strand von Nizza ins Mittelmeer, um kurz darauf festzustellen: Radfahren macht mehr Spaß als schwimmen.
Stint 8: 123 km, 1.510 HM
Einige Zahlen:
Strecke: 2.289 Kilometer
Höhenmeter: 32.600
Zeit: 165 Stunden 52 Minuten
Zeit in Bewegung: 99 Stunden 53 Minuten
Schnitt: 22,9 km/h
Schnitt (brutto): 13,8 km/h
fotos (außer 2 und 4) & text: stefan eferdinger
Gratulation Stefan!
Danke für diesen erfrischenden Bericht. Sehr gut geschrieben. Da werden Erinnerungen wach.
👍🏼 stark!