RACA 1000 – einmal quer durch Österreich

Für das Race across Austria east to west, oder kurz RACA 1000, hatte ich mich trotz des großzügigen Anmeldezeitraums bereits sehr frühzeitig angemeldet. Das tat ich ganz bewusst, da RACA Bestandteil meines 2-Rennen-Plans für den Mai 2024 werden sollte – gemeinsam mit MittelgebirgeClassique. Ziemlich exakt 14 Tage würden zwischen der Zieleinfahrt des vorangegangenen und dem Start des nachfolgenden Rennens liegen. Meiner Auffassung nach genügend Zeit zur Regeneration und Vorbereitung auf den bevorstehenden Renneinsatz.

Die Anreise zum Startort Nickelsdorf – unweit der österreichisch-ungarischen Grenze – erfolgte per Zug. Bis auf einen hektischen Umstieg in München verlief diese weitestgehend ereignislos, was in dem Fall grundsätzlich positiv ist. Für Starter meiner Kategorie (RACA 1000 – solo male race) war ein Abendstart angesetzt, wodurch ich für die Anreise ohnehin einen großzügigen zeitlichen Puffer hatte. Erst recht weil ich bereits am Vortag einen Großteil der Anreise absolvierte, bis nach Bruck an der Leitha – wenige Kilometer von Nickelsdorf entfernt.

Im Startareal hatte ich endlich die Gelegenheit Robert Müller kennenzulernen, der in der Szene berühmt berüchtigt und stets als sehr stark einzuschätzen ist. Auch Michael Mayer war bereits vor Ort, den ich 2023 im Ziel von Transibérica begegnete. Darüber hinaus kannte ich keine weiteren Beteiligten, bis auf Christoph Strasser himself, der sich erst recht spät blicken ließ.

An dieser Stelle muss ich einige organisatorische Dinge, sowie den Rennmodus erläutern, die sich in mancherlei Hinsicht von meinen bisherigen klassischen unsupported bikepacking Rennen unterscheiden. RACA würde ich als semi-supported bezeichnen, da es hier die Möglichkeit gab, sich Taschen mit Utensilien, Bekleidung, Nahrung, etc. an den drei Kontrollstellen (hier als Gate oder Basecamp bezeichnet) hinterlegen zu lassen. Diese Basecamps lagen etwa bei km 294, 518 und 845 der insgesamt ca. 1050 km langen vorgegebenen Route. Zudem gab es bei RACA eine enorme Anzahl unterschiedlicher Kategorien – Paare in verschiedenen Varianten, Frauen, Männer, außerdem eine Kategorisierung in adventure und race, sowie obendrauf eine 500 km Variante in sämtlichen weiter oben beschriebenen Unterkategorien. Schon im Vorfeld war es mir klar, dass das Verfolgen des Rennens für die Zuschauer sehr irritierend sein würde. Insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Startzeiten. Die Fahrer der 1000 km adventure Variante starteten beispielsweise am Dienstag, den 28.05.2024, ab 8 Uhr und die Fahrer der 1000 km race Variante ab 20 Uhr des gleichen Tages. Ich sollte als Vor-Vorletzter auf die Strecke gehen, wobei meine Startzeit auf 20:46 Uhr festgelegt war. Zwei, bzw. Vier Minuten nach mir durften sich Robert Müller und Christoph Strasser auf den Weg machen.

Vor dem Start gab es jedoch bereits sorgenerfüllte Diskussionen. Die Wetterprognose war miserabel und die Aussicht auf winterliche Bedingungen auf den hohen Bergen durchaus gegeben. Die Ausgangslage am Start war also die Folgende:
Bis Mittwoch 12 Uhr kündigten die Organisatoren die Entscheidung an, ob der Großglockner wie vorgesehen befahren werden kann, oder ob die Ausweichroute über den Felbertauerntunnel zu fahren ist. Der Tunnel selbst darf von Radfahrern nicht befahren werden und es hätte der dortige Shuttle-Service genutzt werden müssen, der jedoch in der Zeit von 22 bis 5:30 Uhr nicht aktiv ist. Damit wäre nach etwa 640 km ein cut-off am Tunnel entstanden. Entweder schafft man es rechtzeitig vor 22 Uhr dorthin, oder man bleibt hängen und ist zu einer nächtlichen Zwangspause gezwungen. Durch die Organisatoren, oder die verfügbare Infrastruktur aufgezwungene Pausen unterstütze ich bei dieser Art von Rennen grundsätzlich nicht, weshalb meine Laune vor dem Start etwas getrübt war.

Startinterview mit Moderator und späterem Shuttle-Fahrer Pierre Bischoff und erste Meter nach der Startrampe

Die Stunden zogen sich – ein gravierender Nachteil dieser Abendstarts, doch irgendwann war es an der Zeit, sich fahrfertig zu machen. Ich gesellte mich zu den Mitstreitern in die Warteschlange vor der Startbühne. Jeder wurde dort nacheinander vom Moderator empfangen, interviewed und pünktlich unter Musikbegleitung durch die Schwaden einer Nebelmaschine von der Startrampe geschickt. Auf den ersten Kilometern herrschte ein sehr starker, böiger Gegenwind. Während das restliche Tageslicht verschwand, beschloss ich mir bei diesen Bedingungen kein Bein auszureißen und akzeptierte, bald von den beiden nach mir gestarteten Konkurrenten eingeholt zu werden. Dennoch fuhr ich zügig und überholte einige andere Fahrer, bevor mich Robert nach etwa 12 km einholte. Ich gewährte ihm den vorgeschriebenen 100 m Abstand und blieb an ihm dran, bis wir auf einen verwinkelten Landwirtschafts- bzw. Radweg gelangten. Sowohl der eine oder andere Fahrer vor mir, als auch ich selbst verpassten wiederholt Abzweigungen und fanden uns kurzzeitig auf Feldwegen wieder. Zwischendurch begann ich mich zu wundern, warum Christoph Strasser noch nicht zu uns aufgeschlossen hatte. Erst viel später (am Mittwochmittag) erfuhr ich, dass ihm in der Anfangsphase offenbar die Kombination aus Dunkelheit, verzweigter Streckenführung, hohem Anfangstempo und verschmutztem Untergrund zum Verhängnis wurde. Christoph stürzte in einer Kurve und beschädigte dabei sowohl Schaltung, als auch Körper. Er musste leider nach weniger als 60 km aus dem Rennen aussteigen. Gute Genesung Straps!

In den nachfolgenden Stunden blieb ich an Robert dran und wir erreichen den ersten längeren Anstieg, den Semmering. Dort holten wir Michael Mayer ein und fuhren von da an als 3-er Konstellation durch die Nacht Richtung Westen. Von oben kamen vereinzelte Tropfen und wir fanden uns auf regennassen Straßen wieder. Dort muss es kurz vorher richtig geregnet haben. Zudem fielen die Temperaturen im Laufe der Nacht auf unter 10°C. Irgendwo bei Leoben setzte sich Robert nach vorne ab. Auch Michael verlor ich zwischenzeitlich aus den Augen, überholte ihn aber unmittelbar vor dem ersten Basecamp in Irdning wieder. Wir erreichten es quasi zeitgleich. Dort ließ ich unmittelbar meine Kontollkarte stempeln und nahm währenddessen meine vorbereitete, vollbeladene Musette auf. Prompt saß ich wieder auf dem Rad, während Michael etwas länger brauchte. Während der Fahrt verpflegte ich mich aus der Musette heraus, bis mir plötzlich auffiel, dass meine Regenjacke, die in einer der Trikottaschen verstaut war, fehlte. Ich drehte unverzüglich um und versuchte nachzuvollziehen, wo/wann/wobei die Jacke hätte herausgefallen sein können. Michael kam mir entgegen. Er hatte die Regenjacke nicht liegen sehen. Letztendlich fuhr ich 7 km zurück und fand die Jacke tatsächlich an Straßenrand. Einerseits war ich froh darüber, sie gefunden zu haben. Andererseits war ich sehr über meinen blödsinnigen Fehler verärgert. Offensichtlich hatte ich beim Fummeln in der Musette, die Regenjacke aus der Rückentasche herausgefummelt, mit dem Resultat eines 30-minütigen Zeitverlusts.

Naja, es war ein schöner Morgen und der Sölkpass stand auf dem Programm. Die Sonne kam heraus und ich genoss den Vormittag. Was ich jedoch nicht genoss, war die darauf folgende Anfahrt zum Anstieg auf die Turracher Höhe. Zwischen Murau und Stadl an der Mur führte die Route wiederholt über sinnlose Gravelabschnitte. Während der Auffahrt zur Turracher Höhe gesellte sich für einige Minuten der Dotwatcher Daniel zu mir. Wir hatten eine nette Unterhaltung, bis er vor den steilen Schlusskilometern des Anstiegs umdrehte. Bald gelangte ich zur Passhöhe, stürze mich in die rasante – aber technisch nicht sonderlich anspruchsvolle – Abfahrt und erreichte dabei eine dreistellige Höchstgeschwindigkeit.

Im Laufe des Nachmittags erhielten die Teilnehmer die Information seitens der Organisatoren, dass der Großglockner tatsächlich zu umfahren sein wird und die Alternative Felbertauerntunnel in Kraft tritt, wobei in der Nacht ein eigener RACA Shuttle-Service zur Verfügung gestellt wird, sodass der zuvor beschriebene cut-off um 22 Uhr von nun an irrelevant wurde.

Während der weiteren Anfahrt zum zweiten Basecamp machten mir sowohl der ungünstig stehende Wind, als auch die zahlreichen steilen Rampen das Leben schwer. Jedoch nicht nur mir. Ich holte etliche bepackte Rennradfahrer ein, Mitfahrer aus der adventure Kategorie. In einem der steilen Anstiege kam auch Michael Mayer in Sichtweite. Ich überhole ihn zwar zwischenzeitlich, musste dann aber Wasser nachfüllen. Zudem wurden wir auf einen Streckenabschnitt mit zermürbend schlechten Straßenbelag gelotst, sodass Michael kurz vor mir am Basecamp 2 in Kötschach-Mauthen ankam. Erneut ließ ich mir zügig den Stempel in die Kontrollkarte setzen, schnappte mir die befüllte Musette, schmierte meine furchtbar knarzenden Antriebskomponenten mit meinem dort deponierten Kettenöl und begann sogleich die Auffahrt zum Kartitscher Sattel. Nach einigen Kilometern entkam in einer steilen Rampe die Kette auf wundersame Weise aus dem Schaltwerkskäfig. Ich musste anhalten, um den Schaden zu beheben und Michael fuhr wieder vorbei. Je weiter der Abend voranschritt, je näher ich an die Passhöhe herankam und je weiter sich die Umgebungstemperatur senkte, desto schlechter fühlte ich mich auf dem Rad. Bereits niedrige Steigungsprozente strengten mich übermäßig an und ich konnte die bevorstehende Abfahrt kaum erwarten. Auch in der abschüssigen Anfahrt Richtung Lienz konnte ich mich nicht nennenswert erholen. Ich realisierte, dass meine Probleme scheinbar mit der Atmung zusammenhängen. Den Mund- und Nasenbereich bedeckte ich mit einem Multifunktionstuch. Noch vor Lienz zog ich die Daunenjacke an, um frühzeitig ein Auskühlen zu verhindern. Meine Verfassung verbesserte sich nicht und ich beschloss in Lienz eine Tankstellenpause einzulegen.

Ich setzte die Fahrt Richtung Felbertauerntunnel fort. Bei jeder kleinsten Steigung kam ich unmittelbar außer Atem, egal wie niedrig der gewährte Gang war. Durch die Nase atmend konnte ich den Sauerstoffbedarf des Körpers nicht mehr decken. Stattdessen schnappte ich mit offenem Mund nach Luft, fing an zu röcheln und die Atemgeräusche klangen zunehmend besorgniserregend. Mehrmals kam ich während der Fahrt in Atemnot, so als ob ich gerade einen 100 m Sprint hingelegt hätte und die Muskulatur kurzzeitig mangels Sauerstoff erschlaffen würde – obwohl ich natürlich versuchte möglichst gleichmäßig und kontrolliert zu atmen und in die Pedale zu treten. Mir schmerzte der Brustkorb und ich bekam einen immer schlimmer werdenden Husten mit Auswurf. Während der Auffahrt zum Tunnel gelang es mir nicht, eine Atemtechnik zu finden, die eine ausreichende Sauerstoffaufnahme gewährleistete. Selbstredend wurde ich aufgrund der Beschwerden unendlich langsam. Oben angekommen teilte ich Pierre Bischoff, dem Fahrer des RACA Shuttles unmittelbar mit, dass die Weiterfahrt in meiner Verfassung im Grunde undenkbar ist. Er informierte mich drüber, dass Kühtai und Hahntenjoch ausgelassen werden, dass es ab dem Basecamp 3 eine Alternativroute zum Ziel in Feldkirch gibt und dass die Wetteraussichten für die kommenden Tage besonders eklig aussehen. Diese Informationen nahm ich desinteressiert auf, da ich ausreichend mit meinem eigenen Körper beschäftigt war. Pierre kutschierte mich auf die andere Seite des Tunnels. Dort packte ich mich in alle verfügbaren Kleidungsstücke und fuhr nach Mittersill herunter. Hier nahm ich mir die Zeit, um die Situation gewissenhaft zu bewerten. Aufgrund der anhaltenden Kurzatmigkeit und der geradezu erschreckenden Atemgeräusche wäre eine Weiterfahrt fahrlässig. Andererseits war ich nicht bereit dazu, die Segel zu streichen. Ich steuerte geradewegs die Volksbank Mittersill an, wo ich mich im Vorraum mit Geldautomaten zum Schlafen hinlegte.

An Fronleichnam wachte ich gegen 5:30 Uhr auf und stellte keine Änderung der Atembeschwerden fest. Damit war das Rennen endgültig gelaufen. Meine gesundheitliche Verfassung ließ es eindeutig nicht zu, RACA fortzusetzen. Ich recherchierte nach Zugverbindungen an diesem Feiertag und beschloss zunächst nach Innsbruck zu fahren. Ursprünglich kam mir der Gedanke von Innsbruck aus zum Basecamp 3 in Mutters zu fahren, um mir dort mein Gepäck (mit Zivilbekleidung) abzuholen. Im Zug sitzend verwarf ich diese Idee und steuerte in Innsbruck direkt die Notaufnahme an. Nach den ersten Untersuchungen wurde ich stationär aufgenommen. Somit endete mein RACA mit einer eigenständigen Einlieferung ins Krankenhaus, statt einer Zieleinfahrt in Feldkirch.

Aussicht aus dem Krankenbett

Fazit:
– semi-supported Rennen taugen mir nicht, ich bleibe wohl bei unsupported
– Rennen mit freier Routenwahl ziehe ich (unverändert) vorgegebenen Strecken vor
– Freunde beklagten, dass das GPS-Live-Tracking überaus verwirrend war (Unmengen an Kategorien, unterschiedliche Startzeiten/Startorte, Streckenänderungen während des laufenden Rennens, etc.)
– vermutlich stand ich bereits gesundheitlich angeschlagen am Start
– der RACA-Ausflug bescherte mit einen 5-tägigen Krankenhausaufenthalt
– angesichts dessen habe ich scheinbar rechtzeitig die Reißleine gezogen und womöglich einen größeren gesundheitlichen Schaden vermeiden können

Fotos:
Wiener Verkehr/RACA (Titelbild, sowie Fotos 1 und 2)
Adam Bialek (Foto 3)

Text: Adam Bialek

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