inverness 1200

Sonntag, 25. September 2022

Ich befinde mich in Clitheroe, in der Grafschaft Lancashire im Nordwesten Englands. Der Ausgangspunkt eines 1.200km langen Brevets nach Schottland und wieder zurück, dem Inverness 1200. Es haben sich 14 andere begeisterte Radfahrer eingefunden, um spät im Jahr diese Herausforderung auf sich zu nehmen. Ein Teilnehmer nimmt diese bereits zum dritten Mal unter die Räder und ist somit bei jeder Veranstaltung dabei.

Eine Teilnehmerin, die beim Frühstück von ihren detaillierten Plänen für die nächsten knapp 90 Stunden berichtet, wird in ihrem Eifer, von einem anderen Teilnehmer von folgenden Zitat:: „Everyone has a plan – ‚til they get punched in the mouth“ etwas gebremst. Ich muss mir das Lachen verkneifen, finde aber das dieses Zitat sehr viel Richtigkeit für so ein Brevet besitzt.

Um acht Uhr werden wir vom Organisator mit ein paar Worten und Hinweisen für das Abenteuer, „losgelassen“. Ich ordne mich gleich zu Beginn bei den vorderen Fahrern ein und lasse das restliche Feld schnell hinter mir. Gemeinsam mit zwei anderen Teilnehmern verbringe ich die ersten 150 Kilometer und wir erzählen uns gegenseitig von den bereits unternommenen und eventuellen nächsten Touren.

In den Yorkshire Dales kommen wir zu dem heute ebenfalls stattfindenden Yorkshire`s Three Peaks Cyclocross Race. Eine Veranstaltung, die sehr viele Zuseher anzieht und ein sehr hohes Personenaufkommen in diese zum Teil unwirtliche Landschaft zieht. Hier kommen auch die ersten Anstiege auf uns zu, die für das Land typisch, nicht lange, dafür zum Teil sehr steil sind. Hier setze ich mich sukzessive von den anderen Teilnehmern ab und positioniere mich an der Spitze des Teilnehmerfelds.

Die ersten Kontrollstellen (im Schnitt alle 120 Kilometer) erledige ich relativ zügig, um das gute Wetter auszunützen. Die Temperaturen sind knapp zweistellig und es ist trocken. Doch der Wetterbericht sagt einen massiven Wettersturz mit Regen und Wind voraus.

Nach 7 ½ Stunden, in Longtown betrete ich zum ersten Mal schottischen Boden, ein kurzes Foto des Schilds und weiter geht’s.

Hier geht’s auf einer langen und relativ flachen Straße weiter. Ich erreiche Lockerbie, das traurige Berühmtheit durch die 270 Todesopfer des Bombenanschlags auf den Pan-Am-Flug 103 im Jahr 1988 erreicht hat. In Moffat bei an einer Tankstelle tätige ich einen größeren Einkauf, um für eine mögliche schlechte Versorgung in der Nacht vorbereitet zu sein. Bis hierher habe ich 223 km zurückgelegt und dafür knapp 10 Stunden benötigt.

Das Wetter beginnt jetzt deutlich umzuschlagen der Wind wird mehr und der leichte Regen wird ebenfalls stärker.

Einige Stunden später, bei Kilometer 306, in Kirknewton befinde ich mich schon inmitten eines ausgewachsenen Unwetters. Bei heftigem Wind und Niederschlägen ist es nicht einfach dem Track zu folgen und zeitgleich auf der Straße liegende Äste und ähnliches zu achten. Das einzig Gute daran ist, dass der Wind mich meistens seitlich von hinten anbläst und somit eher nach vorne drückt. Der Spaß bei 8 Grad Regen und finsterer Nacht hält sich dennoch in Grenzen. Um mich ein wenig besser auf die Temperaturen und die Nacht zu adjustieren, suche ich kurz Unterschlupf in einem noch geöffneten Pub. Drei Herren und eine Dame beantworten dort meine Frage nach einem Kaffee, mit den klaren Worten, dies ist ein Pub hier gibt’s Bier. Die schon deutlich angeschlagenen Besucher haben jedoch Mitleid Aufgrund des schlechten Wetters und gestatten mir einen Besuch der Toilette und auch ein Anziehen meiner wärmeren Kleidung im Lokal. Beim üblichen Frage Antwort Spiel über meine Tour locke ich ungläubige Gesichter und viel Neugier hervor. Es wird mir ein Stuhl gereicht und sogar ein Kaffee zubereitet. Mehrmals muss ich meine Tour erklären und wiederholt werde ich gefragt, ob ich betrunken bin?! Schlussendlich sitze ich eine halbe Stunde in diesem Pub und bekomme erstmals Kontakt mit dem schottischen Akzent. Gemeinsam mit einer starken Alkoholisierung ist dieser nur schwer verständlich, einer der Herren „übersetzt“ des Öfteren in ein akzentfreieres Englisch.

Um 22:10 Uhr schwinge ich mich wieder auf das Rad und lasse die vier Pubbesucher:innen kopfschüttelnd zurück. Der Kaffee wurde mir geschenkt und eine halbe Stunde köstlichste Unterhaltung bekam ich noch extra dazu, DANKE!

20 Kilometer später überquere ich den Firth of Forth an der Forth Road Bridge in South Queensferry in Richtung North Queensferry. Hier habe ich zum ersten Mal das Gefühl so richtig in Schottland angekommen zu sein. Mein Ziel ist es noch in der Nacht bis Perth vorzustoßen und dort eine trockene Unterkunft zu suchen. Die Strecke dorthin führt zum Teil durch dichten Wald oder mit hohen Hecken als Abgrenzung zu den angrenzenden landwirtschaftlichen Feldern. Dadurch empfinde ich den Wind als weniger störend, der Regen lässt ebenfalls etwas nach.

Um 02:15 Uhr rolle ich in Perth ein und versuche eine Schlafstelle zu finden. Ein Hotel mit 24 Stunden Check In finde ich leider nicht vor, auch wirkt die Stadt wie ausgestorben. Langsam rolle ich zu dem 24 Stunden geöffneten MC-Donalds und sehe auf den Weg dorthin eine Bankfiliale der „Royal Bank of Scotland“. Bei der näheren Begutachtung sehe ich zwar, dass mir der Zugang zum Inneren der Filiale verwehrt bleibt, der Vorraum aber deutlich wärmer und nicht einsichtig von der Straße ist. Ich stelle mein Fahrrad versteckt ab und bastle mir mit den vorhandenen Teppichen im „Foyer“ einen notdürftigen Schlafplatz. Eingemummt in meinen Daunenanorak schlafe ich zwei Stunden in diesem Foyer.

Um 04:30 sitze ich zum Frühstück bei MCD und lass mir eine Stunde Zeit. Anschließend geht’s weiter auf der A93, „Old Military Road“ in den Cairngorms National Park. Ewig lange arbeite ich mich hier in Richtung Norden vor, ohne irgendwelche Siedlungen oder ähnliches zu sehen. Der Verkehr ist hauptsächlich durch LKWs geprägt. Diese sind jedoch äußerst aufmerksam und überholen immer mit ausreichendem Seitenabstand. Das Wetter wird jedoch von Stunde zu Stunde schlechter. Immer wieder ziehen Regenfronten durch, diese dauern aber meist nur wenige Minuten, werden aber gefühlt immer intensiver. Als ich mich dann sukzessive auf den Cairnwell Pass raufkurble, auf 670 Meter, einer der höchsten Hauptverkehrsstraßen auf der Insel wird der Wind immer stärker. Im Bereich des Passes befindet sich ein Skigebiet, das GLenshee Ski Centre. Ab hier wird das Wetter zu einer echten Geduldsprobe. Der Wind bläst hier mit voller Stärke über den Pass. Ich kämpfe mit sehr starkem Gegenwind, der mich ohne Treten teils bis zum Stillstand abbremst. Hinzu kommt noch massiver Regen in Begleitung von 2 Grad Temperatur. Ich bin der Verzweiflung nahe und denke schon an Kapitulation, zum Glück gibt es jedoch nirgends die Möglichkeit auf ein alternatives Verkehrsmittel auszuweichen. In Braemar erstehe ich in einem Outdoor Laden wasserdichte Socken, da zu diesem Zeitpunkt meine Füße von der Kälte in Verbindung mit der Durchnässung vollständig taub sind. Diese helfen in den nächsten Stunden die Situation etwas zu verbessern.

Ein paar Kilometer später werde ich bei einer Straßensperre beim Versuch diese zu Fuß zu überwinden, zurechtgewiesen und zurückgeschickt. Mir wird im besten schottischen Akzent erklärt, dass ich die Umfahrung zu benützen habe. Diese Umfahrung bringen mir 40 Extrakilometer zu meinem schon witterungsbedingten sehr bescheidenen Radtag. Bei immer wiederkehrenden Regen und starken Wind kämpfe ich mich bis zum Abend in Richtung Nairn vor. Hier erreiche ich den nördlichsten Punkt meiner Reise und fahre anschließend weiter in Richtung Südwesten. Den Wind jetzt im Rücken, genieße ich die hohe Geschwindigkeit und versuche so schnell wie möglich durch Inverness und weiter nach Kirkhill zu kommen. In Inverness muss ich bei starkem Verkehrsaufkommen und einer eher bescheidenen Routenwahl penibel darauf achten nicht übersehen zu werden. Dem Beauly Firth entlangfahrend komme ich um 20:43 Uhr in Kirkhill an. Hier hat der Veranstalter, die Hälfte der Strecke ist absolviert, eine Unterkunftsmöglichkeit für uns Randonneure eingerichtet.

Meine erste Frage, wie viele Teilnehmer denn schon hier waren, wird mit einem kurzem „zero“ beantwortet. Eine Antwort, mit der ich nicht gerechnet hätte. Es wird mir von einer Dame vorzügliches Essen gereicht, etwas Körperhygiene und schon befinde ich mich auf einer Luftmatratze wieder und schlafe im Kirkhill Community Centre ein.

Als ich gegen halb zwei Uhr früh aufstehe, befinde ich mich bereits in Gesellschaft, zwei weiterer Teilnehmer sind ebenfalls bereits eingetroffen. Beim „Frühstück“ teilen wir unsere bisher gemachten Erlebnisse.

Um 02:20 mache ich mich wieder auf den Weg und fahre lange dem Loch Ness entlang. Ohne Nessy erspähen zu können, geht’s weiter zum Loch Lochy und dann zum Loch Linnhe unweit vom Ben Nevis auf dem bereits Schnee liegt. Hier begebe ich mich zum zweiten Frühstück in ein Hotel, welches vorzüglich ist.

Der nächste Streckenabschnitt ist ein absolutes Highlight. Über Loch Leven geht’s über Glencoe in den gleichnamigen National Nature Reserve. Traumhaft schlängelt sich die A82 durch eine atemberaubende Landschaft.

Mit dem Wind im Rücken und einem relativ niederschlagsarmen Tag kann ich die Fahrt wieder genießen. Ich spule viele schnelle Kilometer ab und komme sehr gut nach Süden voran. In Thornhill ergreife ich noch die Chance, die schottische Spezialität „Haggis“ zu kosten. Das Gericht ist vorzüglich, jedoch wirke ich in meiner Rad Dress etwas deplatziert. Ich radle noch bis spät in die Nacht bis Gretna Grenn, welches relativ genau an der schottisch/englischen Grenze liegt. In den letzten beiden Stunden kämpfe ich massiv mit der Müdigkeit und komme auch nicht mehr vernünftig voran. Als ich am Straßenrand den Akku meiner Lupine wechsle, bleibt ein Autofahrer stehen und fragt, ob ich Hilfe benötige. Eine Szene ich die ich als äußerst positiv empfinde.

Um 01:15 checke ich im Day Inn ein und schlafe einen äußerst erholsamen Schlaf bis 07:30 früh. Nach dem Frühstück mache ich mich auf die restlichen 240 Kilometer zurück zum Ausgangspunkt der Reise. Die Strecke führt an der Westküste über Kendal, Lancaster und Broughton zurück. Zwei größere Erhebungen stellen sich mir noch in den Weg, sind aber relativ schnell bezwungen.

Um 16:15 Uhr werde ich vom Veranstalter Andy Corless äußerst freundlich im St. Mary`s Centre als erster Finisher empfangen. Mir werden englische Süßspeisen und Kaffee gereicht. Ein unbeschreibliches Gefühl der Freude und Erleichterung durchströmt mich nach 81 witterungsbedingt sehr fordernden Stunden auf dem Rad!

Einige Zahlen:

Strecke: 1248 Kilometer
Höhenmeter: 12.930
Zeit: 80 Stunden 12 Minuten
Zeit in Bewegung: 53 Stunden
Schnitt: 23,5 km/h
Schnitt (brutto): 15,6 km/h

fotos & text: stefan eferdinger

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