prolog
wir treffen uns mittags am regensburger bahnhof – zusammen mit unseren sorgfältig im karton verpackten rädern. und oh wunder! … es geht relativ reibungslos zum flughafen nach münchen. am tag zuvor hatte ich noch eine sechzehnstündige odyssee auf deutschen gleisen erlebt. auch am flughafen haben hannes und ich glück. wir können die räder schnell einchecken. der flug verläuft rasch und angenehm. am römischen flughafen fiumicino angekommen sind wir nach einer halben stunde wieder im besitz unserer räder.
wir werfen diese in den zug, auch wenn uns der erste italiener, mit dem ich mich unterhalte, sagt, daß ein transport dieser sperrigen kartons nicht möglich sei. kurz vor 20 uhr erreichen wir unsere unterkunft im römischen stadtteil trastevere. antonio, ein netter junger mann, zeigt uns unser zimmer. dann steht die letzte größere herausforderung des tages an – die räder auszupacken und aufzubauen. aber auch das ist nach einer halben stunde recht zügig erledigt. gegen 21.30 uhr machen wir uns noch einmal auf den weg nach draußen, um uns je zwei tramezzini und ein peroni einzuverleiben. nach einem kurzen spaziergang durch trastevere lassen wir den tag langsam ausklingen und sind froh, daß der erste tag unserer reise ohne größere hindernisse verlaufen ist.
1. etappe (21. september): von rom nach mondragone: 201km. 1195hm.
es gelingt uns, relativ früh loszukommen. antonio ist hoffentlich nicht allzu sauer, daß wir unsere räder dann doch im zimmer deponiert haben, weil uns der hausflur zu unsicher war. hannes erhält ein bussi-emoji als antwort. ich denke, das passt.
rom ist beeindruckend! da wir beide schon lange nicht mehr da waren, kommen wir aus dem staunen nicht mehr heraus und fahren von einem monument zum nächsten.
radweg entlang des tiber
der petersdom in vatikanstadt
das monumento nazionale a vittorio emanuele II auf dem kapitol
forum romanum
forum romanum
kolosseum
es dauert geraume zeit, bis wir den römischen ballungsraum verlassen. auf zumeist gepflasterten straßen radeln wir stadtauswärts. in der nähe des albaner sees treffen wir enzo, einen 57-jährigen maler, der auf der suche nach inspiration für sein heutiges schaffen ist. er sagt, alles, was jetzt in landschaftlicher hinsicht käme, sei wunderschön. und wenn wir erst auf sizilien seien, würde es noch schöner werden. na, da bin ich ja mal gespannt…
ab kilometer 70 dreht plötzlich der wind und wir haben strammen gegenwind, der sich für die letzten 130 kilometer auch nicht mehr legen wird. dennoch erreichen wir mondragone relativ zügig um halb sechs. kaum dort angekommen genießen wir das erste bad im meer.
die anschließende suche nach einem ordentlichen ristorante gestaltet sich schwierig. aber wir finden dann doch noch etwas zu essen. wie für derartige längere unternehmungen üblich, sind wir bereits um 22 uhr im bett. ich hoffe, wir bekommen morgen um 7.30 uhr unser frühstück serviert. die besitzerin der bed & breakfast unterkunft meint: „ciclisti don`t have time.“ da könnte sie teilweise recht haben.
2. etappe (22. september): von mondragone nach salerno: 169km. 2343hm.
auf vierspurigen, relativ verkehrsarmen straßen bewegen wir uns kontinuierlich auf neapel zu. „napoli is magic!“, sagte enzo. ich kann ihm nur zustimmen.
neapel. im hintergrund der vesuv (1281m ü.d.m.)
„magic“ ist aber auch der stadtverkehr, der uns zeitweise ordentlich ins stocken bringt. aber alles läuft friedlich und freundlich ab – trotz dichtestem verkehr. mit dean martins „that`s amore“ im ohr wusle ich mich hindurch und wir gelangen in den stadtteil san giovanni a teduccio. vor einem wohnhaus, das den spitznamen „bronx“ trägt (da hier drogen gehandelt wurden oder auch immer noch werden), bleiben wir mit offenem mund stehen. hier hat der neapolitanische straßenkünstler jorit den großen argentinischen fußballer diego armando maradona in unnachahmlicher weise verewigt.
als wir neapel schließlich verlassen, steht uns der erste anstieg der hc-kategorie bevor: der vesuv. auf 10 kilometern müssen 830 höhenmeter bei einer durchschnittlichen steigung von 7,8% bewältigt werden. an der abzweigung zum vesuv deponiere ich meine satteltasche im gebüsch, die mir mit geschätzten zweieinhalb kilo viel zu schwer ist. der anstieg zum aktiven vulkan hinauf ist schön zu fahren, aber relativ steil. oben angekommen verweilen wir nicht lange, da sich dort nur touristischer schnickschnack befindet.
der golf von neapel
wir rollen hinab und machen kurz pause, um etwas zu essen. während die pasta auf dem tisch steht, telefoniere ich mit meiner tochter.
heute findet ein regelrechter schlagabtausch an kulturellen höhenpunkten statt. wenig später stehen wir schon vor den toren von pompeji.
im gemächlichen bergauf durch die monti lattari gelangen wir zur amalfiküste, wo so manche radsportlegende ihre spuren hinterlassen hat.
denkmal für „il campionissimo“ fausto coppi (foto: hannes klessinger)
die anschließende abfahrt ist grandios! die amalfiküste ist atemberaubend. nicht zuviel versprochen, lieber raphi! 😉 aber auch hier gibt es diverse „nadelöhre“, die wir teils nur im schritttempo oder stehend überwinden können, da das verkehrsaufkommen auch in der nebensaison noch gewaltig ist – insbesondere in der nähe der stadt amalfi selbst.
wir fahren unserem heutigen ziel salerno entgegen, das wir um 18.15 uhr erreichen. eigentlich könnten wir uns jetzt ein wenig entspannen. doch weit gefehlt! wir sind mit den machenschaften der modernen technik konfrontiert. über eine app müssen wir uns anmelden, um in unser heiß ersehntes zimmer zu gelangen. wir sind müde und sichtlich überfordert mit der nicht eben gut entwickelten app. und so dauert es tatsächlich fast eine weitere stunde, bis es uns gelingt, uns mithilfe von bluetooth, wlan und codes in dieses verdammte zimmer „einzuloggen“. es ist bereits viertel nach sieben. wir sind kaputt, duschen schnell, erledigen unsere routine und gehen essen. vielleicht klappt`s ja morgen wieder mit einem sprung ins „mare“.
3. etappe (23. september): von salerno nach praia a mare: 183km. 2324hm.
wir frühstücken kurz mit caffè und dolce. die italienische bedienung weigert sich, mit uns italienisch zu sprechen, obwohl wir alles geben.
die ersten 45km rollen wir flach am meer entlang, bevor ein kleinerer anstieg kommt. wir klettern den hügel hinauf und können dabei glücklicherweise die sp430, eine große vierspurige und vielbefahrene straße, vermeiden. oben angekommen erwartet uns das typische satte grün des apennins.
dann machen wir rast in vallo della luciana, wo wir ein sehr gutes mittagessen genießen. eine stunde später wandern wir weiter durch den apennin und seine reizvollen dörfer.
in einem von diesen treffen wir auf zwei amerikaner, die uns völlig erstaunt fragen, wie wir denn mit so wenig gepäck nach palermo kommen wollen und ob wir nicht teil einer „supported tour“ wären. ich erkläre ihnen kurz, daß wir uns eben auf das nötigste beschränken, was sie nicht wirklich überzeugt. wir radeln weiter und gelangen auf den streckenabschnitt „marina di maratea“ im golf von policastro, der wunderschön zu fahren ist.
wir erreichen praia a mare gegen halb sechs und legen unsere sachen bei der sehr netten gastgeberin ab, um gleich darauf ins meer zu hüpfen, bevor die sonne untergeht.
in einer kleinen trattoria planen wir die strecke für den nächsten tag und versuchen, die höllische ss18 so weit wie möglich zu umgehen – eine sehr große, eintönige staatsstraße, die uns keinerlei freude bescheren wird. als das dann endlich erledigt ist, fallen wir todmüde um 22.15 uhr ins bett. der körper lässt nach und ebenso das hirn, auch wenn wenig zu tun ist, außer rad zu fahren. bereits am dritten tag zeigt die reise ihre spuren und wir müssen uns wirklich bemühen, unsere kognitive leistungsfähigkeit am laufen zu halten.
4. etappe (24. september): von praia a mare nach vibo valentia: 171km. 1457hm.
7.28 uhr. es ist noch recht frisch und der wind braust kräftig dahin. wir sind froh, daß wir die heutige strecke so geplant haben, daß wir immer wieder mal ortsdurchfahrten nutzen können, um von der ss18 runter zu kommen. der verkehr ist am samstag erstaunlich gering und so wird die fahrt einigermaßen erträglich.
in einem kleinen ort machen wir mittagspause. der kellner sagt zu mir irgendetwas mit „amico“ und erwähnt eine telefonnummer. mein italienisch ist indes zu schlecht, um wirklich zu verstehen, was er sagt. soll uns dieser freund bei der zimmersuche helfen oder bietet er mir sogar an, daß wir bei ihm übernachten können? ich weiß es nicht. ich bedanke mich auf jeden fall für sein angebot. was auch immer er mir vorgeschlagen hat – wir hatten ohnehin bereits am vortag eine unterkunft in vibo valentia gebucht. wir radeln weiter und machen kurz einer weiteren ikone des italienischen radsports unsere aufwartung.
„il pirata“
heute ist die strecke relativ ereignisarm. es ist die erste von zwei überführungsetappen nach sizilien. zum schluß erfolgt ein kleinerer anstieg mit 450hm hinauf nach vibo valentia. wir kommen kurz nach fünf uhr an und sind froh, heute etwas früher „feierabend“ machen zu können.
zeit zu regenerieren. zwischenzeitlich war mein hirn am heutigen tag „leer gefahren“. ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, was gestern war. so langsam geht die zeit wieder los, in der das gehirn „auf autopilot“ schaltet. aber das ist – was mich betrifft – auch ein zentraler punkt der ganzen unternehmung. der körper ist so angestrengt, daß der kopf völlig frei ist. meistens denke ich während des radfahrens an wenig bis gar nichts. das ist für mich von unschätzbarem, psychisch heilsamem wert, das ich so nur bei langstreckenradfahrten erlebe: der kopf löst sich irgendwann vollständig von allen problemen und sorgen.
5. etappe (25. september): von vibo valentia nach giardini-naxos: 153km. 1531hm.
nach caffè und dolce starten wir los. ich habe mir die strecke noch einmal angesehen, um möglichst wenig auf der ss18 fahren zu müssen. auf kleinen straßen schlängeln wir uns durch die landschaft und landen mitten im süditalienischen dschungel. während wir uns zumeist „offroad“ durch das dickicht bewegen, erspähe ich plötzlich eine große schwarze schlange. sie ist allerdings viel zu schnell, als daß ich ein foto von ihr machen könnte, was mich natürlich sehr ärgert. aller voraussicht nach war es eine schwarze zornnatter, die da gerade an unseren rädern vorbeigehuscht ist. dann geht es wieder bergauf. es ist unglaublich steil und wir müssen auf alten, unasphaltierten bauernpfaden teilweise schieben. kurz bevor wir wieder asphalt erreichen, jagen uns freilaufende hunde hinterher und wir sprinten bis zur hauptstraße, wo diese gott sei dank von uns ablassen.
ein aspekt fällt mir bei unserer reise verstärkt auf: je weiter südlich wir uns in italien bewegen, desto ärmlicher sieht es um uns herum aus. wir befinden uns nun in kalabrien, das mit einem bip pro kopf von 17.600 euro – 59% des eu-durchschnitts in kaufkraftparität – die ärmste region in italien bildet. wir passieren die kleinstadt rosarno, in der der konflikt zwischen afrikanischen erntearbeitern und einheimischen ungebrochen scheint. anschließend fahren wir durch den hafen von gioia tauro, einem wichtigen umschlagplatz des globalen drogenhandels. bei all den freuden, die diese reise bietet, gibt es immer wieder auch momente der nachdenklichkeit und des grübelns.
nachdem wir gioia tauro verlassen haben, klettern wir knapp 500hm hinauf und landen an einer weiteren steilküste, die den ersten blick auf sizilien freilegt. die abfahrt hinunter nach bagnara calabra ist ein traum!
hier treffen wir auf italienische rennradfahrer. ich lasse es mir nicht nehmen. ich beginne einen sprint und überhole sie. der gegenwind ist gewaltig. aber das hält mich nicht davon ab, mit 35 km/h in die pedale zu treten. die italienischen kollegen sind sichtlich beeindruckt. kurz halte ich an, um ein foto von der atemberaubenden kalabrischen landschaft zu machen. dies eröffnet auch die möglichkeit zu einem kleinen plausch und einem gruppenfoto.
angelo, seine freunde & wir (foto: unbekannt)
dann geht es weiter und wieder klemmen sich alle hinter mich. im eiltempo überhole ich noch zwei weitere rennradfahrer, was einen lauten aufschrei nach sich zieht. aber sie wollen oder können nicht mithalten. hannes löst mich kurzzeitig ab und unsere gruppe marschiert weiter tapfer vorwärts. angelo und seine freunde geleiten uns noch bis zur fähre nach villa san giovanni, wo wir uns voneinander verabschieden und ich angelos nummer speichere, um ihm das gruppenfoto zukommen zu lassen. hannes erklärt mich für verrückt, weil meine aktion natürlich sehr viel kraft gekostet hat. aber für so einen spaß bin ich eben immer zu haben! 😉
kurz vor der abfahrt nach messina telefoniere ich mit meiner tochter und zeige ihr die fähre, mit der wir nach sizilien übersetzen werden.
(foto: hannes klessinger)
20 minuten später landen wir in messina und suchen händeringend nach einem restaurant, um unsere leeren mägen zu füllen.
messina
sonntag mittag scheint es sehr schwer zu sein, ein offenes ristorante zu finden. zudem wird heute in ganz italien gewählt! wir nehmen das nächstbeste – wie sich herausstellt, ein feinschmeckerlokal! hier entwickeln sich sodann sehr lustige szenen, die auf meine kosten gehen. ich bestelle „tagliata di tonno“ in der festen annahme, daß es sich dabei um „tagliatelle“, also nudeln, mit thunfisch handelt. aber es ist natürlich thunfisch in scheiben, der mir dann auch geliefert wird – drei stück an der zahl. ich sehe die kellnerin fassungslos an und sage: „dov`è la pasta?“ dann erst fällt mir auf, daß ich das falsch verstanden habe. ich bitte sie um einen großen zusätzlichen teller nudeln, um meine kohlenhydratspeicher aufzufüllen. meinem wunsch wird entsprochen – freilich in der gemächlichen art der sizilianer. es dauert ewig, bis die pasta mit tomaten und – nochmal thunfisch ! – gebracht wird. irgendwann lässt sich auch der chefkellner dazu herab und schenkt uns noch einmal nach: das zweite glas eines sehr guten, aber auch sehr gehaltvollen rotweins, das natürlich ordentlich zu kopf steigt. danach dauert es eine gefühlte ewigkeit, bis wir endlich die rechnung erhalten. wir legen schnell das geld auf den tisch, um zu verschwinden, da es bereits 15 uhr ist. das personal des edlen restaurants scheint ebenso erfreut zu sein, als wir uns mit unseren stinkenden radklamotten wieder von dannen machen. am stadtrand von messina frage ich in einem einfachen bazar nach, wo man hier wasser kaufen könnte. da alles geschlossen ist, schenkt mir der freundliche chinesische ladenbesitzer zwei flaschen wasser und ich danke ihm für seine großzügige hilfsbereitschaft. wir radeln weiter an der sizilianischen küste entlang und werden dabei in umgekehrter reihenfolge an unser vorhaben erinnert.
15km vor giardini-naxos ereilt uns ein kurzer, aber ergiebiger regenguss, der das schöne städtchen taormina leider im wolkenverhangenen grau versinken lässt.
auch wenn wir erst um 17.45 uhr in giardini-naxos ankommen, springen wir rasch bei relativ warmen wassertemperaturen zum dritten mal während unserer reise ins meer.
giardini-naxos
6. etappe (26. september): von giardini-naxos nach caltagirone: 136km. 2815hm.
italien hat gewählt und rückt zu meinem bedauern nach rechts. ich lenke meine gedanken auf den heutigen tag. die königsetappe steht an: von meereshöhe an gilt es auf 40 kilometern 2100 höhenmeter bis zum ätna hinauf zu bewältigen! das ist bei weitem der gewaltigste anstieg, der mir bislang unter die räder gekommen ist! und als wäre das nicht schon eine genügende herausforderung, sehen die wetterprognosen nicht allzu gut aus. das bescheinigt mir auch angelo, mit dem ich seit unserem aufeinandertreffen in bagnara calabra in kontakt stehe.
in zafferana, dem eigentlichen startpunkt der kletterei zum ätna, machen wir kurz halt und entledigen uns von unnötigem ballast. nun beginnt der zweite anstieg der hc-kategorie: auf 16km müssen 1230hm bei einer durchschnittlichen steigung von 7,5% erklommen werden. langsam wird es immer windiger. das angekündigte unwetter naht heran. kurz erhasche ich einen blick auf den ätna, bevor dieser komplett in den wolken verschwindet.
der ätna ist mit rund 3357m ü.d.m. der höchste aktive vulkan europas.
der wind wird immer heftiger und die temperaturen sinken rapide. ich bin froh, daß sich immer wieder passagen finden, in denen man etwas windgeschützt im wald fahren kann. die letzten 200 höhenmeter muß ich aber dann leider ohne regenjacke bei 7 grad im starkregen absolvieren. hannes war hier klüger und hielt am berg an, um sich die regenjacke überzustreifen. gegen 11.15 uhr komme ich völlig durchnässt und frierend auf 1906m ü.d.m. am rifugio sapienza an.
nach kurzem überlegen bleiben wir vor ort und essen im restaurant in der hoffnung, daß danach das ganze unwetter an uns vorbeigezogen ist. aber pustekuchen! wir sitzen im rifugio fest. es folgen ein paar nette unterhaltungen mit amerikanern und einem norweger und ich nutze die zeit, um mehrere tassen köstlichen caffès an der bar zu trinken.
(foto: hannes klessinger)
um 13 uhr wagen wir uns nach draußen. schlechte idee! es hat immer noch nicht zu regnen aufgehört. es ist arschkalt und der gegenwind bombastisch! wir schaffen es genau 300 meter weit. dann stellen wir uns erneut bei einem haus unter. ein paar italienische mädchen bieten uns handtücher an. doch es ist klüger, in der saukälte und bei dieser windstärke wieder zum rifugio zurückzukehren. dort warten wir noch einmal eine geschlagene stunde auf besserung. und dann hilft alles nichts: wir müssen auf die räder, weil wir sonst nicht zu unserem heutigen zielpunkt caltagirone kommen. der „abstieg“ wird heftig. die windböen sind brutal und es hat weiterhin nur 7 grad. wir kämpfen uns hinunter auf 1700m ü.d.m. dort setzt der regen wieder ein – und zwar so stark, daß wir erneut unterschlupf finden müssen.
als der regen etwas nachlässt, machen wir uns wieder auf den weg. es wird erst besser, als wir die 1000-meter-marke unterschritten haben. bei den krassesten wetterbedingungen haben wir den krassesten anstieg überhaupt in angriff genommen! wie wir später sehen werden, war heute außer uns kein anderer rennradfahrer auf dem ätna. letzten endes können wir froh sein, daß wir heilen fußes – trockenen fußes natürlich nicht 😀 – wieder unten angelangt sind.
es folgt eine relativ lange passage durch das landwirtschaftlich geprägte sizilianische flachland. in unserem kampf mit dem wetter haben wir leider nicht darauf geachtet, unsere trinkwasserflaschen oben am ätna aufzufüllen. das wasser wird knapp. in unserer not klopfe ich bei einer fabrik an, die ich zufällig entdecke. auch hier wird mir eine flasche wasser geschenkt. es gibt viele helfende hände auf dieser tour, wofür ich sehr dankbar bin.
nun peitscht uns wieder kräftiger gegenwind ins gesicht, der unsere kräfte zunehmend schrumpfen lässt. wir finden die abzweigung hinauf nach caltagirone und versinken auf dem kleinen landwirtschaftsweg im schlamm. als wir gegen 18 uhr bei der heutigen unterkunft ankommen, starren wir und unsere räder nur so vor dreck. aber unser gastgeber raphaele nimmt uns das nicht übel und gibt uns ausführlich auskunft über seine schöne heimatstadt, die von der unesco zum weltkulturerbe erklärt wurde.
während hannes duscht, setzt erneut starker regen ein, sodaß mir die idee kommt, dem rad ebenfalls eine dusche angedeihen zu lassen. nach gutem zureden lässt sich auch hannes dazu überreden, das „gute stück“ nach draußen zu stellen. das resultat bestätigt mein handeln: die räder sind vom größten dreck befreit.
dann machen wir uns auf die suche nach einer pizzeria. nach der heutigen mörder-etappe sind wir völlig ausgehungert. wir finden uns auf einem platz wieder, an dem sechs straßen aufeinander treffen. ich habe keine ahnung, in welche richtung wir gehen müssen und so bleiben wir suchend in der mitte stehen. plötzlich tönt mir eine stimme auf deutsch entgegen: „können wir euch helfen?“ es sind zwei italiener, die seit geraumer zeit im sauerland leben und dort ein restaurant betreiben. schlußendlich landen wir in einem ristorante, wo wir die beste pizza dieser italienreise erhalten. auf die rechnung müssen wir freilich wieder recht lange warten, da kurz vor unserem gehen 10 italienische gäste eintreffen, die fürstlich bestellen und ihre mahlzeiten so schnell wie möglich serviert bekommen wollen. da wir hundemüde sind, bitte ich ein zweites mal um die rechnung und meinem flehen wird nachgegeben. auf dem rückweg nehmen wir uns trotzdem die zeit, die schönheit caltagirones auf uns wirken zu lassen.
die berühmte 130 meter lange treppe von santa maria del monte (erbaut 1606)
der heutige tag geht mit dem epochalen anstieg zum ätna und dem epochalen unwetter, durch das wir uns hindurch gekämpft haben, in die geschichte ein.
7. etappe (27. september): von caltagirone nach campofranco: 158km. 1658hm.
nach einem kleinen frühstück und einem plausch mit raphaeles mitarbeiterin starten wir los in den heutigen tag.
vor der abfahrt müssen die räder noch einmal gereinigt werden.
ein unverstellter blick auf den ätna – wenn auch in weiter ferne.
bei niscemi fange ich mir dann tatsächlich einen platten am hinterrad ein. die reparatur auf dem seitenstreifen einer großen straße dauert ewig. hannes schlägt vor, daß wir bei dieser gelegenheit gleich nach einer fahrradwerkstatt suchen, um unseren reifen wieder mehr druck zu verleihen. die suche nach einer ebensolchen verläuft indes ergebnislos. eine stunde später biegen wir ab auf die strada provinciale 82. da es in den letzten zwei tagen heftig geregnet hat, entpuppt sich die straße als einziges schlammloch. wir stehen mehr, als daß wir gehen und waten durch riesige „seen“ voller morast. alle zwei minuten stehen wir wieder da und müssen unsere schuhe, unsere räder und unsere laufräder vom schlamm befreien, sodaß diese überhaupt weiterrollen können. neben dem einstündigen aufenthalt in niscemi kostet uns dieser abschnitt wahrscheinlich eine weitere dreiviertelstunde.
nachdem wir diese passage überstanden haben, geht es runter ans meer, wo uns – wie erwartet – strammer gegenwind empfängt. in gela entdeckt hannes zufällig eine kleine fahrradwerkstatt am straßenrand, in der wir unsere schläuche aufpumpen lassen, was dringend notwendig ist. der druck ist zwischenzeitlich auf 5 bar gesunken. „pedaliamo da roma a palermo“, sage ich zu einem älteren herrn und versuche ihm mit meinem spärlichen italienisch unser tun zu erklären. „fantastico!“, antwortet er herzlich lachend und verabschiedet sich mit einem kräftigen händedruck.
in licata kehren wir in der „trattoria duomo“ zum mittagessen ein. ich lasse mich mit einer doppelten portion spaghetti ai frutti di mare verköstigen.
(foto: hannes klessinger)
als ich mich zum abschied für den großen teller pasta bedanke, stellt sich heraus, daß küchenchef lillo lange zeit in essen gelebt hat. „warum sagst du das nicht gleich, daß ihr aus deutschland kommt?“, raunt er mir freundlich grinsend zu. es beginnt eine lebhafte unterhaltung. wir gehen nach draußen und werden weiter ins gespräch verwickelt, weil die nächsten gäste wissen wollen, was wir da eigentlich treiben. meine kurze schilderung unseres vorhabens stößt auf allgemeine bewunderung und es werden fotos von uns gemacht. irgendwann müssen wir aber weiter, da wir sowieso schon spät genug dran sind infolge schlauchwechsel, verfehlter radwerkstatt und schlammfiasko. als wir aus licata hinausradeln, sehe ich am palazzo di città ein banner hängen, das mir respekt vor dem dahintersteckenden mut einflösst. darauf steht in großen lettern: „no alla mafia! no alla corruzione!“ die „cosa nostra“, wie die mafia auf sizilien genannt wird, scheint im täglichen leben nach wie vor allgegenwärtig zu sein.
im kräftigen gegenwind führt unser weg weiter am meer entlang. zwischen pisciotto und fontanazze entdecke ich zufällig einen zugang zum „mare“. es ist die letzte möglichkeit, noch einmal ins meer zu springen und die nehmen wir auch wahr.
freilich hätten wir hier den ganzen nachmittag verbringen können. doch wir müssen weiter. nach einem viertelstündigen intensiven bad ziehen wir uns wieder an, tragen die räder hoch und setzen uns auf den sattel. wir nehmen kurs auf agrigento und bestaunen die dort ansässigen, gut erhaltenen griechischen tempel.
bei aragona führt uns eine straße talwärts, die wenig mit einer solchen zu tun hat. sie ist holprig und es fehlt zu 75% der asphalt. dazwischen befindet sich nur sand, gestein und – mittlerweile gott sei dank – großteils vertrockneter schlamm.
dennoch müssen wir noch unzählige male unsere schuhe und die räder vom dreck befreien, um halbwegs weiterradeln zu können. am schluß der etappe strampeln wir noch einmal hoch zum heutigen ziel in campofranco.
im hintergrund der monte san paolino
als wir auf der suche nach unserer unterkunft ziellos umherirren, bietet uns ein netter herr seine hilfe an und geleitet uns zur richtigen straße. bei der ebenfalls sehr netten gastgeberin entschuldige ich mich dafür, daß unsere räder so dreckig sind. „tranquillo, tranquillo“, beruhigt sie mich.
nach einer schnellen dusche besuchen wir das einzige restaurant im ort, das heute auf hat. auch hier entwickelt sich eine äußerst unterhaltsame gesprächssituation. italienische sprachfragmente sowie hände und füße nutzend plaudere ich mit der familie dieses restaurants und deren freunden. im sehr lustigen schlagabtausch mit kelly, der restaurantbesitzerin, und ihrer vierjährigen tochter fatima versuche ich mich mit meinem kümmerlichen italienisch hindurchzuwurschteln. „parlo solo un po` d`italiano“, sage ich zu fatima. „pochissimo“, korrigiert sie mich geflissentlich. wir speisen sehr gut und trinken den wahrscheinlich besten wein der bisherigen reise. wir genießen diesen kurzweiligen abend in campofranco und verabschieden uns – nachdem wir einen letzten amaro mit der gesamten belegschaft getrunken haben – in die nacht.
8. etappe (28. september): von campofranco nach palermo: 100km. 1181hm.
wir verschlafen ein wenig, da der abend gestern recht fröhlich war und uns schlußendlich doch drei amaro serviert wurden. es gelingt uns dennoch, gegen halb acht uhr aufzubrechen. glücklicherweise haben wir die route neu geplant, sodaß wir heute größere schlammlöcher vermeiden können.
die staatsstraße ist natürlich kein großer spaß. aber ich muß trotz allem sagen, daß die italienischen autofahrer sehr rücksichtsvoll sind: sie hupen kurz, bevor sie überholen.
wir kommen gut voran. einzig der gegenwind schwächt uns etwas ab. ein letztes mal holpern wir über landwirtschaftswege durch die sizilianische landschaft, bevor wir uns allmählich palermo annähern.
kirche in misilmeri
ich bemerke, daß sich mein schaltzug verabschiedet und pünktlich in palermo komplett den geist aufgibt. ein einziger metallstrang hält das sensible gebilde noch zusammen. das war maßarbeit.
wir sind nach 8 tagen in palermo angekommen – eine stadt, die sich für den frieden einsetzt.
die letzten 10 kilometer durch palermo werden erwartungsgemäß relativ zäh. dennoch kommt kein stress auf. der palermische großstadtverkehr bewegt sich wellenartig. niemand fährt zu schnell. es gibt fast kein geschrei. alle fahren im umsichtigen miteinander.
die „chiesa di san domenico“ an der via roma.
nachdem es uns gelungen ist, die tür zu unserer unterkunft zu öffnen – in italien scheinen viele türen mit einem für deutsche hände tückischen schließmechanismus gesichert zu sein –, haben wir zweieinhalb stunden zeit, um uns zu erholen.
um 15 uhr setzen wir uns geduscht und umgezogen ein letztes mal auf die räder und gondeln 2,5km durch die stadt zum fahrradladen, wo wir unsere „treuen gefährten“ erneut für den morgigen rückflug nach deutschland verpacken wollen. dort rutscht uns dann zuerst einmal das herz in die hose, als ein mitarbeiter sagt: „wie? kartons? da sind keine bei uns angekommen.“ wir stehen fassungslos da und wissen in diesem moment nicht, was wir machen sollen. ein anderer mitarbeiter, der offensichtlich diesen laden leitet, erlöst uns dann von unserer quälenden ungewissheit. es kommen zwei windige kartons zum vorschein, die hannes in weiser voraussicht zwei wochen zuvor im internet bestellt und an die adresse dieses fahrradladens verschickt hatte. ich frage noch, ob uns irgendjemand gegen bezahlung beim verpacken helfen könnte. aber bei dieser frage bleibt es dann auch. kein mensch zeigt in irgendeiner art und weise anstrengungen, uns bei diesem unterfangen behilflich zu sein. alle scheinen vollauf mit ihren eigenen aufgaben beschäftigt zu sein. uns wird noch ein paketband gereicht. dann stehen wir draußen vor dem laden und das rätselraten um das fachgerechte verpacken unserer räder in diese windigen kartons beginnt. ein werkstattmitarbeiter ermutigt uns, indem sagt, daß die kartons viel zu klein wären und unsere räder darin sicher nie platz hätten. glücklicherweise sind wir da anderer meinung. mit dem mut der verzweiflung arbeiten wir uns voran. hannes ist wie erwartet versierter und schneller. ich dagegen brauche erheblich länger und vergieße schweiß und blut, bis mein rad irgendwann dann doch im karton landet. ich habe ein mulmiges gefühl. die kartons sind in puncto stabilität kein vergleich zu den kartons, die wir auf dem hinflug benutzt hatten. aber es hilft nichts. wir müssen die kisten zukleben und darauf vertrauen, daß die räder von uns so gut wie möglich verpackt wurden. ganze eineinhalb stunden sind bei unserem schaffen vergangen. es ist bereits fünf uhr. ich frage, ob es ein taxi gibt, das die kartons zu unserer zweieinhalb kilometer entfernten unterkunft transportieren könnte. dem leiter des fahrradladens einen 10-euro-schein in die hand drückend laviere ich mich mit meinem italienisch so weit hindurch, bis eine lösung gefunden ist. ein kunde, der zugleich taxifahrer ist, erklärt sich bereit, die kartons zu unserer bleibe zu bringen – allerdings erst gegen 19 uhr. wir bedanken uns bei den leuten im fahrradladen für die vermittlung und latschen den weg zurück zur unterkunft – darauf vertrauend, daß unsere räder in zwei stunden auch bei uns ankommen werden. während wir in der wohnung warten, telefoniere ich mit meiner tochter. um halb 7 erhalte ich eine nachricht vom taxifahrer, der unsere fracht gerade verladen hat und in kürze eintreffen wird. eine halbe stunde später steigt er aus seinem taxi und übergibt uns die kartons. der taxifahrer ist ein netter mensch und wir unterhalten uns noch kurz mit ihm. er zeigt uns fotos, die seine teilnahme an diversen mountainbike-rennen illustrieren. mit seinen über 60 jahren scheint er noch unglaublich fit zu sein. die gemeinsame leidenschaft für das radfahren bricht das eis. dann verabschieden wir uns und sind nur noch froh, daß die räder hier sind. seit dem verpacken bis zur ankunft sind ganze vier stunden vergangen. ein zäher kaugummi. die heutige 100km-radfahrt ist nichts im vergleich zu dem, was wir heute nachmittag bewältigen mussten. mit dem erfreulicherweise vorhandenen aufzug hieven wir die räder hinauf in den dritten stock.
dann haben wir endlich zeit, um essen zu gehen. seit dem frühstück haben wir nichts mehr zu uns genommen. nach längerer suche finden wir ein restaurant, das „gourmet-pizzen“ feilbietet. es wird auch nicht zuviel versprochen bis auf den teig, der in süditalien zumeist viel zu weich ist. die zutaten aber und auch der wein sind von bester qualität. eine tolle eisdiele serviert hervorragendes gelato al pistacchio und bacio im brioche. palermo beschert uns nach all der anstrengung doch noch einen angenehmen abend.
epilog
um 5.40 uhr stehen wir gerädert auf. die nacht war ziemlich horribel. wir konnten kaum schlafen, da wir wohl überladen sind von den eindrücken dieser reise und nun die „last“ des täglichen radfahrens von uns abgefallen ist. andererseits war sicherlich auch die nervosität vor dem heutigen reisetag groß. nach zwei caffè starten wir los – eine herausforderung der anderen art, weil unsere kisten keine tragegriffe haben und wir diese schultern müssen. zusammen mit unserem restlichen hab und gut wackeln wir die 800 meter bis zum bahnhof vor. diese kurze strecke treibt uns bereits den schweiß auf die stirn. wir erwischen gerade noch den zug um halb 7 und kommen eine dreiviertelstunde später am flughafen an.
(foto: hannes klessinger)
die sperrgepäckaufgabe der radkartons verläuft reibungslos und das flugzeug hebt zu unserer freude pünktlich ab. um 11.45 uhr landen wir in nürnberg und fahren mit der u-bahn weiter zum hauptbahnhof. passenderweise ist dort der stand mit den italienischen köstlichkeiten wieder aufgebaut und so besorge ich zwei focaccias, um die hungrigen mägen zu füllen.
die zugfahrt zurück nach regensburg wird kurzweilig. mit unseren riesigen kartons ziehen wir alle blicke auf uns. ein paar neugierige bahnmitarbeiter fragen uns löcher in den bauch und machen ganz große augen, als ich von unserer reise erzähle. meine geschichte wirkt derart inspirierend, daß die bahnmitarbeiter anfangen, selbst pläne für eine eigene radreise zu schmieden.
um 14.45 uhr kommen wir in regensburg an. ich nehme ein taxi und fahre mit den rädern zu mir nachhause – hannes zu fuß hinterher. dort bauen wir die räder wieder auf. ich putze mein rad, da ich es heute abend noch zu rainer bringen möchte, der mir hoffentlich den maroden schaltzug erneuert.
nun gilt es, die vielfalt an eindrücken zu verarbeiten und die ganze reise „sacken“ zu lassen. während ich diese zeilen schreibe, merke ich, wie reich wir beschenkt wurden und wie sehr die in dieser zeit gesammelten erfahrungen nachwirken. bella italia! ich liebe das land, die leute, die sprache, das essen, den wein, die berge und das meer. ich liebe italien mit all seiner gegensätzlichkeit und hoffe, daß es sich seine warmherzigkeit auch den neuesten politischen entwicklungen zum trotz bewahrt.
es war nicht leicht, diese reise in meinen emotional fordernden alltag zu integrieren. doch es ist gelungen. das leben scheint mir oft eine gratwanderung zwischen konträren welten zu sein, die dennoch zum positiven führen kann. oder wie eine freundin von mir zu sagen pflegt: „bei extremer belastung extrem belasten…kann ja auch heilsam sein.“
1271km. 14504hm.
kalorienverbrauch: ca. 27.000
Ein sehr schöner Bericht, einer offenbar, tollen und erlebnisreichen Reise.
vielen dank, stefan! ja, das war ein sehr intensives erlebnis!
Sehr coole Radreise und toller Bericht!
Passt hervorragend zum Two Volcano Sprint, den ich aktuell verfolge.
vielen dank, adam! das war eine sehr intensive reise, die immer noch nachwirkt.
Das glaube ich dir gerne! Das Gefühl kenne ich irgendwo her. 😉
Dafür machen wir es ja.
exakt. mit dem rad lassen sich andere länder auf die intensivste art bereisen. 😊