Was steht an? Aus München zum Tegernsee über das Valepp und Spitzingsee nach Bayrischzell, folgend vom Sudelfeld zum Inn. Von dort über Kitzbühel und Pass Thurn nach Mittersill und Krimml das Pinzgau über den Gerlospass ins Zillertal verlassen. Weiter über den Achenpass zum Sylvensteinspeicher zur Isar wieder nach München. Oder wie früher: Ein Brevet. 400 km.
Dank Corona gibt es jetzt großzügige Zeitfenster, in denen man das Unterfangen angehen kann. So wird man zum Schönwetterradler. Nach längerem Hin und Her kristallisiert sich Fronleichnam als der perfekte Termin heraus. Letzte Gewissheit, was ich an dem Tag machen werde, erhalte ich kurz nach dem Aufwachen um fünf Uhr, Thomas schreibt, dass er um 8 in München ist. Super, ich auch.
Im Zug, dank Internet wissend, treffe ich Christoph, der ebenfalls, kurz vor uns, die identische Prüfung auf sich nimmt. So wird die Zugfahrt ganz unterhaltsam, kurzweilig. Thomas kommt um acht am Roecklplatz an, wir können starten. Wir fahren uns warm, das Wetter ist gut, fast zu warm. Am Tegernsee ins Valepp und zum Spitzingsee. Es sind keine Autos, die uns überholen, sondern Fahrräder mit Hilfsmotoren. Welch wunderschöne Landschaft. Oben treffen wir Christoph und seinen Begleiter. Ich hätte ihn ohne Maske kaum erkannt. Beide beenden das Wagnis in Mittersill wegen eines technischen Defektes. Auch der nächste Pass, das Sudelfeld, lässt sich leicht ersteigen, jetzt sind es die motorisierten Zweiräder, die uns davonfahren.
Thomas kennt die ganze Region, dank seiner alpin-sportlichen Leidenschaft und ist somit ein guter touristischer Guide („da kann man super Skitouren gehen“, „da gab es mal einen Radmarathon“, „hier war ich früher Skifahren“). Ein schöner Blick auf zahmen und wilden Kaiser, runter ins Inntal und rein nach Österreich. Radwege an befahrenen Straßen sind in Österreich schwierig, etwas schwer zu verstehen und dank Helm schmerzfrei. An den „Kontrollen“ gibt es Leckereien wie Leberkässemmeln und Cola, das Übliche.
400 km Touren sind in dieser Hinsicht ein Zwitter, 200 und auch 300 km (naja, wenn man schnell und es kalt ist) Brevets kann man ohne Pause bewältigen. Beim 600er sind (Schlaf-) pausen notwendig. Aufgrund der logistischen Voraussetzungen („irgendwo im nirgendwo“) ist dieser 400er aber eher einer von der Sorte „ich fahre meinen Akku gezielt und kontrolliert leer“. Wir kommen auf Nebenstraßen, zwar ohne Autos, aber vielen Höhenmeter nach Kitz, verspotten den „Pass“ Thurn, weil wir beide ihn nur aus der Perspektive des Automobilisten kennen, was wir aber bitter bereuen werden, es wird der ärgste Hügel der Tour.
Runter zur Salzach nach Mittersill. Dort stellen wir fest, dass der schnellste Weg zurück nach München, trotz allem, der mit dem Rennrad sein wird. Wir fahren gestärkt nach Krimml hoch den Gerlospass. Es geht konstant, kontrolliert bergauf. Oben machen wir uns schick für die Nacht und gleiten durch das Zillertal ins Inntal.
Wir verpassen den letzten Burger beim Schnellimbiss, werden aber dafür in die obligate Unterhaltung „Was macht ihr so spät auf euren Rädern“ verwickelt. Es ist eine dunkle Nacht, wir schleichen den Achenpass hoch, um von dort recht flott nach Bad Tölz zu rollen. Neben vielen Tieren, sind auch einige Menschen auf Rädern unterwegs. Was die wohl machen? Die Müdigkeit vertreiben wir mit Gesprächen über die letzten, lohnenswerten Musikveröffentlichungen, passieren noch holprige Baustellen und kommen gegen 3 Uhr irgendwas am Roeklplatz an. Da etwas Zeit bleibt, bis unsere Züge fahren, nehmen wir noch ein Bier an der Tanke an der Kapuzinerstraße. Dort tritt ein junger Rainer Langhans mit mehreren Flaschen Bier, seinem Hund und seiner Gitarre in unser erschöpftes Leben. Er verliert schnell seine Maske, fast seine Hose und einen Haufen seltsamer Gedanken. Wir trinken schnell aus und fahren zum HBf. Komische Gestalten, die sich die Nacht um die Ohren schlagen.
Fotos & Text: Hannes Klessinger